März 2015

Von Plastiktüten, Kinderschändern und alte Damen erster Klasse

 

Ich stehe an der Kasse und lege meinen Einkauf auf's Band. Eine Verkäuferin, mit vom Alkohol in Mitleidenschaft gezogenem Gesicht, nuschelt ein gelangweiltes „Hallo“. Mechanisch zieht sie Obst, Gemüse, eine Packung Reis und eine Plastiktüte am Scanner vorbei. Plötzlich ertönt ein lauter, schriller Alarm, eine rote Warnleuchte blinkt nervös auf, Lichtkegel blenden mich und richten ihren Spot auf mich. „Sie könnet die Tüte net mitnehmen, si han scho ihren Jahresbedarf von 40 Tüte auf'braucht, des isch neues EU-G'setz“.

Böse Blicke starren mich an, es wird getuschelt, Finger zeigen auf mich, mir wird heiß. Ich zahle rasch und versuche alles irgendwie mit den Händen zu packen.

Die Verkäuferin bedient derweil schon den nächsten Kunden. „Hallo Herr Edathy, Glückwunsch zum Freispruch“. Hinter mir steht der SPD-Abgeordnete, an der Hand ein kleines Kind, Sabber tropft aus seinem Mund, eine Gruppe alter Menschen am Rollator applaudiert dem Politiker.

 

Ich wache auf, unruhig mit einem flauen Gefühl im Magen. Ich schaue mich um und sehe mein Bett, über mir das Dach meiner Eltern, fühle meine weiche, warme Bettwäsche, draußen klopft der Specht an den Nussbaum. Stille. Nur ein Traum. Ich bin bin wieder zu Hause, ich bin wieder in Deutschland.

 

Seit drei Wochen bin ich nun zu Hause und versuche mich wieder einzugliedern. Aber es will mir nicht so Recht gelingen, immer noch habe ich das Gefühl, dass ich nicht vollständig hier angekommen bin.

In den letzten Monaten habe ich viele Reisende getroffen, die mir erzählt haben, das Zurückkommen das Schwierigste am Reisen sei. Sie haben Recht. Der Blick auf die Dinge hat sich verändert.

 

Es fängt bei der Werbung an. Ein halbes Jahr habe ich so gut wie ohne gelebt. Nicht, das es in Südamerika keine Werbung gibt, nein, aber ich habe sie schlichtweg nicht verstanden. Es gab kein Fernsehen, keine Zeitschriften, keine Werbeprospekte für mich. Und nun überfluten mich die kuschelweichen, cremig-sahningen, seidig-glänzenden und einmalig, unverschämt günstigen Werbeversprechen wie eine riesige Tsunamiwelle. Mein Hirn nimmt jede Werbung überscharf wahr, als wäre es auf Entzug gewesen und es überfordert mich, weckt Begierden wie niemals zuvor und macht mich nervös.

Wenn ich nun also über die Dörfer im Schwarzwald fahre, zu meinen Hausbesuchen, höre ich Deutschlandradio. Garantiert werbefrei. Dafür voller Nachrichten, die mich nachdenklich stimmen.

 

Ein EU-Gesetz soll auf den Weg gebracht werden, das mir erlaubt genau 40 Plastiktüten im Jahr zu verbrauchen. Nicht, das ich eine Plastikreduktion nicht sinnvoll finde, aber ein Gesetz? Sitzen da tatsächlich bezahlte Kräfte bei Kaffee und Keksen in Brüssel und überlegen, ob ich 30, 40 oder 50 Plastiktüten benutzen darf. Kann das nicht jeder selbst entscheiden. Was passiert bei der einundvierzigsten Plastiktüte? Bekomme ich dann einen Button angeheftet, wo „Umweltsau“ draufsteht.

Nächste Nachricht: Herr Edathy hatte Kinderpornos auf seinem Bundestag-Laptop. Er gesteht, halbherzig via Anwalt und muss eine Geldstrafe bezahlen. Fertig. Kein Button wo „Sau“ draufsteht.

Ich bin froh, das wenigstens der Kinderschutzbund, der das Geld erhalten sollte, kopfschüttelnd die „Spende“ abgelehnt hat.

Und während ich so zwischen Flourn-Winseln und Sulz am Neckar über die Landstraße fahre und über diese Nachrichten nachdenke schreckt mich ein greller, roter Blitz auf. Padammm. Geblitzt.

Ich schaue erschrocken auf den Tacho: 80km/h, um mich herum Bäume, Sträucher eine Leitplanke. Gegen welches Gesetzt habe ich denn nun verstoßen?

Beim Zurückfahren entdecke ich ein 50er-Schild, „gefährliche Kurve“ steht da. Ob es die Kurve sicherer macht, wenn man die Leute mit rotem Blitzlicht terrorisiert? Wahrscheinlich. Das werden die in der EU sich bei Kaffee und Keksen sicher gut überlegt haben. Ich hoffe, dass ich auch nur mit einer Geldstrafe davon komme und das Landratsamt mit Verweis auf Herrn Edathy von einem Punkt absieht? Wir werden sehen.

 

Ich fahre also zu meinem Hausbesuch. Eine ältere Dame. Als ich sie am Telefon frage, welche Beschwerden sie habe, sagte sie pikiert: „Sie, ich bin erste Klasse Patient, privat versichert“. Aha. Ich wusste gar nicht, das das auch Beschwerden verursachen kann.

Also fahre ich 20km durch den Hochschwarzwald zu ihr. Kleine Dörfer, braune, kahle Felder, Schneereste am Straßenrand, Bäume ohne Blätter. Es ist Winter in Deutschland. Die Häuser stehen dicht gedrängt, die Straßen sind zugeparkt mit Autos, auf den Gehsteigen nur Leute über 60Jahre, viele mit Rollatoren.

Durch die Dörfer muss ich 30 fahren, wegen der Lärmbelästigung, auch wenn die meisten Menschen, die hier Leben sicher nicht mehr ganz so gut hören.

Weil ich nach der Blitzer-Attacke sensibilisiert bin halte ich mich auch genaustens daran. Und dann: Blitzlicht vom Auto hinter mir. Ein alter Toyota mit getönten Scheiben ist so dicht auf mich aufgefahren, dass ich sein Nummernschild nicht sehen kann, der Fahrer teilt mir pantomimisch mit, was er von mir hält. Als er mich überholt, will er sicher gehen, das ich seine wichtigen Gedanke auch verstanden habe und brüllt übers geöffnete Fenster „Öko-Fotze“ zu mir rüber. Okay!

Ich möchte bitte sofort an den Strand von Palomino gebeamt werden. Ich möchte meine Füße in den warmen Sand bohren und ein bisschen Reaggaemusik hören. Mehr nicht. Nur das.

 

Vor einem dreistöckigen, beigefarbenem Einfamilienhaus mit Jägerzaun suche ich einen Parkplatz. Ich öffne das Türchen im Zaun, wo ein Schild angebracht ist: „Vorsicht, bissiger Hund, betreten auf eigene Gefahr“. Ich denke an die Straßenhunde in Südamerika, die keinen Gedanken an die Menschen vergeuden, die ihr eigenes Leben leben, die einem vielleicht mal aus entzündeten Augen und mit lausigem Fell um ein Stückchen Empanada anbetteln.

Hausbesuche sind immer spannend. Man betritt eine fremde Wohnung. Was gibt es Privateres als die eigenen vier Wände.

Bei meiner Privatpatientin im Flur riecht es nach alten Menschen. Mit Bauernmalerei verzierte Milchkannen mit Plastikblumen stehen in der Ecke, eine alte Wanduhr tickt laut, ziegelrote Fliesen auf dem Boden, ein frommer Spruch eingerahmt an der Wand. Der Ehemann führt mich zum Krankenlager:

Ein Schlafzimmer aus den 70igern, Ehebett, Schrankwand, ordentlich drapierte Gardinen, Biberbettwäsche und in der Luft ein Hauch von Kölnischwasser...mir wird es eng in der Brust, Regentropfen klatschen gegen' s Fenster.

Die Privatpatientin hat Fieber, Husten und Gliederschmerzen seit einem Tag. Sie fühlt sich schwach, kennt dieses Gefühl nicht. Sie habe ihr Leben lang hart gearbeitet, Krankheit kenne sie nicht und nun das! Noch nie habe sie sich so elend gefühlt.

Sie hat eine Grippe. Ich erkläre ihr das Übliche: viel trinken, Paracetamol, Bettruhe und Hustensaft, Wadenwickel, Lindenblütentee und Brustwickel.

„Aber jetzt saget Sie mal, Frau Doktor, wo kommt denn des her, der Virus, mein i?“. Ja, wo kommt der Virus her? Gute Frage. „Den können Sie überall her haben, von Türklinken, vom Händeschütteln, von der Verkäuferin im Supermarkt, Grippe ist sehr ansteckend“, versuche ich sie aufzuklären, aber ich werde zügig unterbrochen.

Meine Patientin erster Klasse hat da ihre ganz eigene Wahrheit: “Des kommt sicher von dene ganze Flüchtlinge, die's jetzt bei uns einquatiert han! Die bringet die Vire doch alle mit! Des muss ma ja mal ganz ehrlich sage dürfe...!“.

Puhhh. Ich packe kommentarlos meinen Koffer zusammen und fülle meine Papiere aus. Der Ehemann, der mir die Tür geöffnet hat, sitzt teilnahmslos auf einem Stuhl im Schlafzimmer und schaut auf einen imaginären Punkt weit in der Ferne, er wirkt dement, abwesend. „sind sie ganz alleine hier?“, frage ich höflich, etwas besorgt, den die Beiden machen nicht den Eindruck, als kommen sie gut alleine zurecht.“Mir ham ja keine Kinder, aber mir ham jetzt a Ungarin, die isch nur grad einkaufe. Aber die Fraue aus'm Oschtblock sind ja au nimma des was se mal ware!“

Ich nicke und hoffe auf ein EU-Gesetz gegen solche Äußerungen.

 

Ich bin zurück in Deutschland. 80 Millionen Menschen auf kleinstem Gebiet. Doppelt so viele Menschen auf einem Fünftel des Gebietes  Kolumbiens. Man kann keine fünf Kilometer fahren ohne nicht in ein Dorf zu gelangen. Es ist eng hier. Und natürlich braucht man dann auch mehr Regeln.

Nur, das mir das vorher nicht so bewusst war. Es fühlt sich eng an hier, und wo es eng ist, versuchen sich Menschen Platz zu machen: mit Ellbogen, mit besonderen Autos, mit außerordentlichen Lebensentwürfen, mit einer großen Karriere.

Das verstehe ich, aber ob es mir gefällt? Ich habe soviel Freiheit gekostet, ich hatte soviel Platz, Raum und Stille, das es schwierig ist, mich hier wieder einzufügen.

 

Aber es gibt auch viele Dinge über die ich mich sehr gefreut habe. Familie und Freunde, die da waren, als wäre man nie weg gewesen, Brezeln und Leberwurst vom Papa, Kaffee trinken mit Mama, volle Supermärkte mit viel frischem Biogemüse und Obst, meine Kleider, fließend heißes Wasser, wann immer es einem nach einer Dusche gelüstet, ein Zimmer für mich alleine, gemeinsames Essen mit der Familie, meine kleine Nichte, die so groß geworden ist. Ohne all das wäre nach Hause kommen grausam, so ist es es einfach nur wunderlich.

 

Nun ja, nun ist es wie es ist und ich brauch wohl noch ein bisschen Verlängerung.

 

Mein nächster Flug ist gebucht und ich bin gespannt auf einen neuen Kontinent, auf eine neue Kultur und auf einen neuen Alltag. Ich bin noch nicht soweit mich wieder einzureihen in den Alltagstrott, nicht in die Hierarchie einer Klinik, bin noch nicht bereit mich wieder leidenschaftlich dem bürokratischen Wahnsinn zu widmen und morgens um sechs an einer nebligen Straßenbahnhaltestelle auf den Abtransport zum Arbeitsplatz zu warten, bin noch nicht bereit meine freie Zeit auf Freitag Nachmittag bis Sonntag Abend zu begrenzen. Ich brauch wohl noch ein bissl Zeit für meine midlife-crisis, die möchte schließlich auch gepflegt sein. Und dann gäb es ja noch meinen Franzosen...und die glückliche Situation und Unterstützung durch meine Familie,ohne die so eine Spinnerei ja gar nicht möglich wäre.

 

Das wär's dann erst mal aus der Heimat. Ich hoffe ich kann ganz viele von Euch vorm nächsten Flug noch besuchen!

 

 

 

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