08.10.14-17.10.2014

Drum'n'Frog concert, Partyhostel und Abschiedsschmerz

 

Am Morgen in Otavalo packe ich meinen neuen Rucksack. Ja, den Neuen, denn der alte war definitiv zu schwer und zu unpraktisch. Auf dem Markt hier habe ich einen richtigen Reiserucksack gefunden und meinen Alten sozusagen in Zahlung gegeben. Ausserdem habe ich die Haelfte meiner Kleider in Otavalo gelassen und bin nun nur noch mit mickrigen 9kg auf dem Ruecken unterwegs. Fuehlt sich gut an.

 

Als wir in Otavalo in den Bus steigen geht es mir schlagartig besser. Endlich wieder unterwegs, on the road again, ich liebe dieses Gefühlt, wenn mman vom Busbahnhof fährt, die Salsamusik beginnt und  stundenlang die Landschaft an einem vorbeizieht.

Ueber Quito geht es nach Nordwesten in das kleine Doerfchen Mindo. Wir fahren durch dichten Nebelwaldd, vorbei einen kleinen kegelförmigen Vulkanen(wobei ich immer an Jim Knopf denken muss) , die Wolken haengen tief in den Palmen.

Wie schon in Kolumbien, dienen auch in Ecuador die oeffentlichen Busse als Teleshoppingersatz. Lauthals bekommen wir Puelverchen gegen Krebs, Impotenz und Depressionen angeboten. Das tolle an diesen Produkten ist, sie sind 100%natural und enthalten alle Vitamine in dreifacher Konzentration und immer wieder bin ich erstaunt, welch reisender Absatz diese Vitaminpillchen finden.

Nach fuenf Stunden heisst es fuer uns raus aus dem Bus. Es regent in Stroemen, und wir stehen einsam an einer Landstrasse, kein Haus auch nur in Sichtweite, man hat das Gefuehl mitten in den Wolken zu sein, die Erde dampft.

Und dann tauchen aus dem dichten Nebel drei Gestalten mit Gitarren und Cajon auf. Die langen Dreadlocks phasthasievoll verknotet, Freundschaftsbaendchen, Gloeckchen, Tatoos und der Duft nach Patchouli...ich weiss bis heute nicht, was die Leute an diesem Patchouli finden, aber es scheint der Erkennungsduft der Aussteiger-Szene zu sein.

"Hey, peace! Vamos a musicar", Auf gehts machen wir Musik. Die Gitarre von Phillipe ist wirklich oft der erste Kontaktpunkt. Da wir aber mittlerweile nass bis auf die Haut sind, ist die Stimmung weniger nach einer sponatnen jam-session am Strassenrand.

Die drei Kolumbianer laden uns in das Haus von Gloria ein, es sei kein Hostel, aber alle verrueckten Menschen sind dort herzlich willkommen, es sei eine grosse Familie und jeden Abend gibts Musik.

Wäre ich alleine gewesen, ich wäre sofort mit und hätte mir diese Gloria mal angeschaut. Nach so viel Seriosität in Otavalo haätte ich nichts gegen ein paar Hippies einzuwenden gehabt.

Wir landen dann aber doch in der Casa de Cecilia.

Ein Holzhaus, an der Front hängen in langen Ketten gelb-rote Orchideen herab,  Kolibris umschwirren kleine weiße Blüten, ein Fluss plätschert vorbei, es ist ein lauer Abend.

¨Hey wollt ihr mit zum Froschkonzert?¨, frägt Susan, eine Holländerin. ¨Fröscheland!¨, denke ich sofort. Das Fröscheland war schon als Kind meine Lieblingsattraktion im Europapark, vielleicht gibt es hier ja das echte Fröscheland zu finden, ich bin sofort abfahrbereit. Sogar mein Franzose lässt sich für diese besondere Nachtwanderung begeistern.

Wir versammeln uns alle auf einer Bambusholzveranda, die auf einen kleinen See hinausreicht, schummriges Licht, Palmen, wir sind etwas abseits vom Dorf,  es ist bereits dunkel.

Eine friedliche Stille herrscht, keiner spricht laut, Rotwein in kleinen Gläsern wird gereicht. und um uns herum....ein wahres Froschkonzert, es quackt, platscht, gurgeld, vibriert, Grillen und Zierpen spielen Begeitmusik. Im ersten Moment suche ich die versteckten Lautsprecher in den Bäumen, denn das ganze klingt schon sehr wie eine dieser New-Age-Einschlaf-CDs...aber nein, das hier ist echt....und wunderschön. 

Mit einem Guide und zwei Taschenlampen machen wir uns dann auf den Weg durch den dichten Nebelwald, der durchzogen von kleinen Flüsschen und Teichen ist.

Wir sehen kleine Minifrösche, große Kröten, grüne, gelbe, braune Amphimbien, im Gebüsch, auf Wasserpflanzen, im Unterholz, wir sehen Taranteln, Springspinnen und Riesengrillen. Und als wir tief im Wald sind und alle unsere Taschenlampen ausgeschlaltet haben, leuchtet vor uns plötzlich ein Baum auf. Er phosphorisziert, ¨glow in the dark¨ heißt das bei Stickern. Kleine Bakterien, die totes Holz bewohnen, leuchten hier so schön mit dem Mond um die Wette.Sprachlos.

 

Die nächsten Tage in Mindo, diesem kleinen Naturparadies, verbringen wir damit zu Wasserfällen zu wandern, in eiskalten Bächen zu baden, an Seilbahnen gekettet im Supermanstyle in 30m Höhe über den Wald zu sausen und  in Riesenreifen eine Wildwasserabfahrt zu überleben. 

Abends versammelt sich in Mindo auf der Plaza die gesamte Hippie-Comunity zum gemeinsamen Trommelsessions, und wer sich nicht auf drei Weggeduckt hat, bekommt sofort eine Rassel, eine Triangel oder ein Tamburine in die Hand gedrückt. ¨ Enjoy the experience¨, lächelt mich eine junge Frau an, ihr langes Haar fällt in Locken über ihr bodenlanges Batikkleid, an den Füßen und Armen Ketten mit Glöckchen und wieder... Patchouli...

Und wo die alternative Szene musiziert ist meist auch für genügend bioenergetisches Superfood gesorgt. Und so freuen wir uns über jede Menge Soulfood, Quinoaburger, Quinoa-Chopsuey, organic chocolat, Quinoa-Pudding und Maracuja-Eis mit Basilikum (bio - versteht sich!) .

 

Nach zwei Tagen in Mindo kommt mich Alexa, meine liebe Reise-Companera aus der Wüste besuchen. Sie war in Quito und hatte zwischen ihrem Galapagostrip und dem Flug nach el Salvador noch drei Tage Zeit. Ich freue mich riesig! Sie sieht gut aus, braun gebrannt, erholt und sprüht nur so vor Energie. 

den halben nachmittag sitzen wir zusammen unten am Fluss und ich geniesse ihre Erzählungen der vergangenen Wochen, sie hat eine herrlich erfrischende, ehrliche Art. In ihrem Wortschatz kommen keine gehauchten Sätze wie: ¨ it was soooo awesome...¨, oder ¨ oh my god, never see something like this in my life, gourgous!¨vor. 

Abends stürzen wir uns ins Wochenendleben von Mindo und landen in der einzigen Bar-Disco die es hier gibt. Drei Stühle am Tresen und drei Ron abuelo aber nur ein Blick von Alexa und ich wusste wie sehr ihr Santagio hinter der Theke gefällt. Santagio, war heute beim Zipline unser Guide. Ein durchtrainierter tatowierter und gaaaaanz cooler Barkeeper, der, wenn er mal lächelt herrliche weiße Zähne entblöst.

Um uns herum tanzen die Ecuadorianer, ein Ami versucht ebenfalls sein Glück mit seinen staksigen Beinen und dem erstem Bartflaum seine Hüften an denen einer süßen kleinen Ecuadorianerin zu reiben. Ich muss an Willi aus Biene Maja denken und falle vor Lachen, und weil ich wahrscheinlich schon zuviel Rum hatte, fast vom Stuhl. Phillipe und ich machen uns auf den Heimweg, Alexa nimmt Santagio in Angriff und wird erst sehr früh am nächsten Morgen wieder im Hostel auftauchen.

Niemand sucht hier Liebe, aber manchmal einfach etwas menschliche Zuneigung, Wärme und eine kurze Illusion von geliebt sein und manchmal, so im Falle meiner Freundin, einfach nur Spass.  

 

Nach einer kurzen Woche in Mindo brechen Phillipe und ich am 14.10.14 wieder Richtung Quito auf. Heute Abend kommt sein Freund Jean-Claude aus Frankreich und der Tag, an dem sich unsere Wege trennen werden nähert sich.

Es fällt mir schwer daran zu denken. Wir haben uns beide aneinander gewöhnt, reisen seit fünf Wochen ununterbrochen zusammen, wirken manchmal vertraut und eingespielt wie ein altes Ehepaar und dann plötzlich kommt von der einen oder anderen Seite Rückzug, Angst die Freiheit die wir hier suchen zu verlieren.

Kennt ihr diesen dämlichen Spruch auf den Postkarten mit dem Schmetterling?  Was man liebt soll man frei lassen, und wenn es zurück kommt gehört es einem...???

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber da ich eh keine andere Wahl habe, wird dieser Spruch jetzt Gegenstand einer ernsthaften  empirischen Untersuchung. Noch zwei Nächte gemeinsam in Quito...

 

Das Hostel in Quito heisst Vibes. Es schnell wird klar, das niemand hier hinkommt um die koloniale Architektur Quitos zu studieren, im Vibes landet man, weil man Party machen will.

In einem Innenhof mit alten, verissenen Ledersesseln, kleinen Holztischen, einer Bar und psychedelichen Bildern an der Wand treffen wir auf Corelle (Marketingmanagerin aus Paris), Patrick (ein Jim Morrison look-alike mit deutsch-französischen Eltern und Wohnsitz in Venezuela), Nicola (aus der Bretange mit einem Freddy-Mercury-Gedenk-Schnäuzer) und Steven (dem total tätowierten Australier, der gelangweilt Blues auf einer verstimmten Gitarre spielt), Anja (eine Deutsche aus der Nähe von München mit blondiertem Haaren und der verrauchten Stimme einer Barfrau) und ihre jüngere Schwester Jule (die mit ihren 22 Jahren den Küken-Bonus ausspielt). Siie arbeiten hier alle teilweise als volunteers und schmeißen abends die Bar im Hostel. Ab sechs steht der Rum und das Bier auf dem Tisch, geredet wird in vier Sprachen, hauptsächlich über Musik, wie man unterwegs Geld verdienen kann und das das Reisen niemals enden sollte.

Wir kochen alle zusammen Nudeln mit ¨Resten aus dem Kühlschrank¨. Es ist lustig mit dieser Ggruppe völlig losgelöster Menschen. Es wird später, Jean-Claude ist angekommen, mit ihm noch ein paar Südafrikaner und Australier.Und mit jeder Stunde wird es wilder, es wird getanzt, getrunken und in einer dunklen Ecke ziehen sich die Australier, kleine feine Kokainlines auf einem französischen Reiseführer über die Naturschönheiten der Galapagosinseln rein. Ich halte mich an meinem Rum fest, wundere mich über die Unbekümmertheit, aber bald schon wird mir klar, das Kokain hier dazugehört. Man kann die Leute auf Koks gut erkennen, sie haben riesige Pupillen und strahlen einem mit einem Blick voller Liebe an und beginnt man ein Gespräch mit ihnen, hören sie für die nächste Stunde nicht mehr auf zu sprechen. 

Ich habe in Kolumbien schon ein paar mal diese Backpacker auf Koks erlebt. Die meisten reisen schon mehr als ein Jahr, sie spielen tagsüber Computerspiele und sniefen sich nachts wach für eine Party bis zum frühen Morgen, kommt man dann zum Frühstück sitzen sie in der Ecke und rauchen Gras, damit sie wieder runterkommen. Kokain ist hier billig, in Kolumbien bekommt man 1g für 10€, in Ecuador kostet es 25Dollar. Über die Folgen schient sich hier niemand Gedanken zu machen, alle leben für den Moment. Manchmal scheinen mir diese Leute fanatischer im Geniessen jeden Tages als meine Palliativpatienten. In Kolumbien ist das Mitführen von einem Gramm Kokain legal und sichert das Einkommmen der Kaugummiverkäufer auf der Straße. Welches Leid das ganze politisch anrichtet interessiert in der Partycommunity niemand wirklich. 

Als mir beim Frühstück am nächsten morgen Corelle ein Gutemorgenkuss gibt, mir durch die Haare streicht und ohne Punkt und Komma redet, wird mir klar, das es für manche hier auch kein Ende gibt. Sie tut mir leid, sie ist wirklich a lost little girl und ich habe ein bisschen Angst um sie. ¨Wir haben das coolste Leben überhaupt, Nicole¨, sagt sie mir, strahlt mich mit ihren ultraweiten Pupillen an und ich... bin mir da nicht so sicher. 

Die  nächste Nacht beginnt wie die davor, erst wird Musik gemacht, dann getrunken, dann getanzt, dann gehen wir in eine Disco, Phillipe legt sich mit einem Ecuadorianer an, der meine Haare küsst und mir wird langsam aber sicher alles zuviel. Zeit zu gehen. Zeit wieder ein bisschen gesünder zu leben, Zeit sich der Natur und Architektur zuzuwenden. Ich bin nicht gemacht mich tagelang im Partyleben aufzulösen. 

 

Gleich morgens um sieben stehe ich auf. Dusche kalt. Zahle das Hostel. Packe meine sieben Sachen. Streiche meinem Franzosen ein letztes mal über sein braunens Haar und atme seinen Duft ein. ¨ A bientot, senor frances!¨, er umarmt mich fest, ¨hasta luego amor, we will see soon¨.

Dann gehe ich aus der Tür und fühle mich einsam wie noch nie.

Plötzlich will ich nach Hause, nur weg hier, die Sonne ist zu grell und Straßenlärm zu laut. Ich will weit weg, ich will schnell nach Peru. 

Ich winke mir am Straßenrand ein gelbes Taxi ran und lasse mich zum zentralen Busbahnhof fahren, kaufe das erste Ticket Richtung Süden nach Cuenca und verbringe die folgenden 10 Stunden damit französische Musik zu hören, während meine Beine langsam aber sicher vom unbeweglichen Sitzen anschwellen. 

Es kann nicht immer alles gut sein und ich weiss es wird bald wieder besser: Also ans Meer und Regenerieren.

 

Liebe Eltern macht Euch keine Sorgen wegen den Drogen, ich bin zu alt für so einen Blödsinn. Aber sie sind nun mal um mich rum, was aber  nicht heißt, das ich sie auch nehme. Ihr könnt ganz unbesorgt sein. .

Liebe Grüße an Euch alle und schreibt mir! Ich brauche Alleinreisemotivation!

 

 

 

29.09.2014-07.10.2014

Die ernsten Menschen Otavalos, ein ernstes medizinisches Problem und ein ernster Reisekoller

 

Ecuador empfängt uns mit Regen und einem wolkenverhangenen Himmel. Überall wird einem bewusst, das man gerade eine Grenze überschritten hat. Alles ist anders, nichts ist mehr Kolumbien.

Wir nehmen den Bus Richtung Quito und werden nach zweieinhalb Stunden Fahrt am Straßenrand der Panamericana abgesetzt. Otavalo. 

Eine Kleinstadt umringt von sieben Vulkanen, einer lebendigen indigenen Tradition und berühmt für seinen Viehmarkt an den Samstagen.

Mit einem Taxi fahren wir zu unserem Hostel, vorbei an den kleinsten Menschen, die mir je begegnet sind, vorbei an schönen Plätzen, vorbei an bunten Märkten, die Sonne bahnt sich den Weg durch die Wolken und der Blick auf die schneebedeckten Vulkane wird frei.

Friedlich, ist das erste was ich denke. Friedlich und aufgeräumt.

Da wir die einzigen Gäste im Hostel sind, bekommen wir das schönste Zimmer. Manchmal muss man einfach Glück haben und so nennen wir ein Miniloft auf dem Dach des Hostel mit eigenem Badezimmer, Dachterasse und rießigen Panoramafenstern mit Blick auf die Stadt unser eigen.

Als die Sonne untergeht und den Cotacachi in ein wunderschönes rosa hüllt, sitzen wir auf der Dachterasse und beschliessen hier jetzt erstmal eine Weile zu bleiben. Wir sind müde vom Reisen.

 

Die nächten Tage sind gemächlich, ruhig und plätschern einfach so dahin. Wir wandern zu Wasserfällen, umrunden einen Vullkan, gehen essen, kochen, lesen und lernen Backgammon spielen. 

Ich wandere durch die Strassen und kann mich nicht satt sehen an den Menschen, die hier leben. Die Frauen haben wunderschöne Gesichter, glänzende, geflochtene Haare und sie reichen mir gerade mal bis zur Brust.  Um den Hals haben sie unzählige, eng anliegende,  goldene Ketten, an den Armen korallfarbene Armbänder.  Sie tragen alle das Gleiche, eine mit bunten Blumen bestickte Bluse, dazu einen langen Rock, auf dem Rücken meist ein kleines Kind im Tagetuch, je nach Alter eine unterschiedliche Kopfbedeckung, , mal Lodenhut, mal ein gefaltetes Tuch gegen die Sonne. 

Auf den Gehsteigen sitzen diese Frauen, klauben geschickt Erbsen aus ihrer Hülle, die sie dann verkaufen. Mittags schlendere ich oft durch die Markhalle, ein buntes Durcheinander von Obst, Gemüse, Innereine, rießigen Rinderlebern in Plastikschalen, schmurgelnden Suppentöpfen, lebenden Hühnern und Meerschweinchen. Es wird Quechua gesprochen, gelacht wird kaum und die Preise sind nicht viel unter europäischem Niveau. Es ist alles voller Leben und trotzdem fühle ich mich hier mehr wie ein Beobachter. Es ist schwer mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, ich bin für sie eine Gringa, eine mit Geld und mehr auch nicht. Ein bisschen vermisse ich die Kolumbianer mit ihrer warmen und herzlichen Art.

 

Am Freitag Abend lerne ich in einer Bar Jorge Luis kennen. Er ist Arzt und leitet hier eine Krankenstation in einem kleinen Dorf , ca 20 Minuten von Otavalo entfernt. Unser Beruf verbindet, das habe ich jetzt schon oft festgestellt, es ist wie wenn man zu einer kleinen Geheimloge gehört.

Eigentlich kommt Jorge aus Peru, aber er hat in Ecuador studiert und an dieses Land sein Herz verloren. Seit einem Monat leitet er nun diese kleine Krankenstation und steckt mich mit seinem Enthusiasmus sofort an. Ich soll ihn unbedingt besuchen kommen, wir tauschen unsere Facebookdaten aus und wir beschließen, das ich ihn am Montag besuchen komme, einen Arztkittel hätte er auch für mich.

Trotz der unzähligen Biere, findet dieses Treffen tatsächlich statt.

 

Pünktlich um 9Uhr stehe ich am folgenden Montag vor der kleinen Krankenstation in Quechiche. Ich habe mit mir extra die Fingernägel gefeilt und meine besten Kleider angezogen. Ich bin ein bisschen nervös und fühle mich wie an meinem ersten Arbeitstag. Es ist ein einfacher Bungalow, davor ein paar Blumenbeete, Wellblechdach. Im Eingang stehen einige Indiofamilien, eine Vorschulklasse hält in zweier Reihe kichernd Einzug. Im Wartebereich stehen ein paar Plastikstühle, an den Wänden hängen Plakate, die darauf hinweisen, man solle seine Kinder bis zum zweiten Lebensjahr stillen und auf seine Zähne Acht geben. Gleich neben dem Eingang ist ein Verkaufstresen, die ¨Krankenhausapotheke¨. Ich frage nach dem Doctor Jorge und werde auf einen der Palstikstühle verwiesen.

 

Doktor Jorge, heute ganz seriös mit Brille und weißem Arztkittel, holt mich lächeln ab. Er drückt mir meinen weißen Kittel in die Hände und bietet mir einen Platz hinter seinem kleinen Schreibtisch an. ¨Wir müssen gleich loslegen, chica, es gibt viel zu tun, heute ist Kindervorsorge¨.  Und schon sitzt die erste Mutter mit dem sechzehnmonate alten Lius Carlos vor uns. Mit uns am Schreibtisch sitzt Fernanda, die örtliche Sozialarbeiterin, die jede Familie der umliegenden Dörfern kennt und deren Aufgabe es ist, sich darum zu kümmern, das die Kindern auch richtig gefördert werden, soll heißen nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen. Es ist ein staatliches Programm und die Teilnahme nicht freiwillig.

 

Luis Carlos wurde zuvor von einer Krankenschwester gemessen und gewogen. In einer Wachstumstabelle extra für die indigene bevölkerung schauen wir nach ob er auch groß und schwer genug für sein Alter ist. Er unterschreitet sein Soll um ein Vielfaches. ¨Was geben Sie ihm zu essen, senora?¨, frägt mein peruanischer Kollege. ¨Weizensaft mit Zucker, Mittags Reis, stillen könne sie ihn nicht mehr¨. Diese Antwort werde ich noch dutzende Male an diesem Vormittag hören.       

Jorge klärt mich auf. Eines seiner größten Probleme hier, ist die Mangelernährung der Kinder. Sie sind nicht unterernährt, nur fehlernährt. Es fehlt ihnen an ausreichend Eiweiß, Calcium und weiteren Mineralstoffen. Dies führt zu Minderwuchs, Abwehrschwäche und fehlender Konzentrationsfähigkeit, nach wie vor gibt es eine deutliche erhöhte Kindersterblichkeit hier.

Wie kann das sein, der Mark quillt über von Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukten, Otavalo ist eine reiche Stadt. ¨ Es ist ein kulturelles Problem¨, erzählt mir Jorge. Die indigene Bevölkerung ernähre sich hauptsächlich von Mais und Reis, ihre alten Ernährungsgewohnheiten haben sie vergessen und wissen schlichtweg nicht, wie sie sich vollwertig ernähren.

So erzählt er Mutter für Mutter, daß sie Quinoa kochen, jeden Tag Obst und Milch auftischen und dem Kind abends vorlesen soll. Anschließend erhalten sie ein Rezept für Vitamin A--Kapseln, die hier jedes Kind bis zu einem Alter von zwei Jahren regelmäßig und staatlich verordnet bekommt. Die meisten Mütter schauen uns nur groß an, nicken beflissen und ich weiß nicht, ob sie auch nur die Hälfte dessen verstanden haben, was Jorge ihnen da erzählt.

Ich kämpfe im Moment noch um meine Anerkennung hier, sagt er am Ende des Vormittages erschöpft. Es sei nicht leicht, das Vertrauen der Bevölkerung hier zu bekommen. Und  so lernt er fleißig Quechua, die Sprache, die die Indigenen hier sprechen, hat Treffen mit den Dorfchefs, arbeitet mit Ernährungsberatern, Sozialarbeitern und dem Krankenhaus eng zusammen, malt nach Feierabend die Blumenbeete bunt an und sät einen Rasen vor der Krankenstation. ¨Wenn wir es schaffen, daß die Kinder bis zum Schulalter gut ernährt sind, und ein normales Wachstum haben, werden sie besser in der Schule sein und das ist wichtig für ein Land wie Ecuador¨. Ich bin sprachlos, ziemlich beschämt über meine Unwissenheit und voller Respekt für meinen gleichaltrigen Kollegen und seinem Engagment. Er lädt mich ein, am nächsten Tag mit ihm in ein weiter entferntes Dorf zur Sprechstunde mitzukommen, leider muss ich ablehnen, denn im Hostel wartet ein ganz anderes Krisengebiet auf mich, und so fährt er mich auf seinem Motorrad zurück nach Otavalo, aber ich bin mir sicher, wir werden uns wiedersehen.

Ich verspreche ihm noch den Kontakt mit Eric, meinem Moringamission-Man aus Sogamoso für ein Projekt bei ihm zu vermitteln und verabschiede mich. ¨ Lern endlich spanisch, Nicole, wir brauchen Leute wie Dich hier¨, ruft er mir noch nach. Ja, denke ich, sollte ich wirklich tun.

 

Zurück im Hostel erwartet mich ein missmutiger Franzose. Seit einigen Tagen gehen wir uns ein bisschen auf den Keks. Ich habe schon auf diesen Moment gewartet, denn 24Stunden immer mit ein und der selben Person ist nicht einfach. Was am Anfang so gut klappte, funktioniert nun  überhaupt nicht mehr. Ich möchte raus und alles erkunden, mein Franzose spielt lieber Computerspiele. Wir sitzen uns gegenüber und wissen nicht so recht wie es weiter gehen soll. Niemand ist hier irgendwem verpflichet und trotzdem schaffen wir es nicht uns voneinander zu verabschieden. Es ist schwer miteinander zu reisen und für Menschen, die alleine zu so einer Reise aufgebrochen sind, vielleicht per se noch schwieriger.  Ich weiß keine Antwort und ich weiß auch nicht, was ich will. Nicht mit und nicht ohne ihm. Und  so gestatte ich mir einfach die Freiheit, es mal nicht zu wissen und abzuwarten. Vorerst mit ihm.

Nach zehn Tagen in Otaavalo beschließen wir weiter zu reisen, nach Mindo, einem kleinen Dorf im Nordwesten von Ecuador. Vamos a ver, schaun mer mal.....

 

Und hier sitze ich nun, auf einer Veranda unten am Fluß, endlich wieder mit meinen Freunden, den Moskitos, vereint im Nebelwald und weiß immer noch nicht wie es weiter geht. Ich werde es jetzt einfach mal aussitzen, das tun worauf ich Lust habe und auf Eure Ratschläge warten!

Vermisse Euch gerade alle ziemlich und hoffe ihr schreibt mir weiter! Bis bald, ihr Lieben! 

 

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