02.11.14 - 10.11.14

 

Vom Trauertal zu den höchsten Dünen und  tiefsten Canyons

 

Ja, da sitze ich nun im Bus nach Lima. Draussen verschwinden langsam die Lichter von Huaraz und in mir drin versammelt sich der gesamte Weltenschmerz. Nie hätte ich gedacht, das mir soetwas auf dieser Reise passieren wird, das mir jemand begegnet, der mich so tief berührt.  

Aber wenn man so alleine unterwegs ist, fern von jedem Alltag, von schützender Routine, wenn man nichts hat ausser sich selbst, dann wird man verletzlich, weil man sich öffnen muss und hinter nichts verstecken kann.  

Der Bus schauckelt mich in einen tiefen, wohltuenden Schlaf und ich wache erst im Morgengrauen auf, als wir schon die Vororte von Lima erreichen. Im Bus spielen sie die vier Jahreszeiten von Vivaldi und nichts könnte im Anblick dieser Stadt zynischer wirken.

Wir fahren vorbei an verkommenen Wellblechhütten, eingestürzten Häusern, toten Straßenhunden, der Müll türmt sich in den Straßengräben, Menschen schlafen schutzlos auf den staubigen Verkehrsinseln und über allem hängt der dichte Smog einer 10Millionenstadt. Lima begrüsst mich, wie ich mich fühle: trist, dreckig,  hässlich und unfreundlich. 

Als ich um 6Uhr morgens dann endlich mein Hostel erreiche ziehe ich mir die Bettdecke über den Kopf. Ich will nichts und niemanden sehen und schon gar nicht mit jemanden sprechen. 

Ich schlage die ¨free-Pisco-sour-Tour¨, die das Hostel anbietet aus, auf keinen Fall werde ich mich heute mit 25-jährigen Holländern und Schweizern betrinken. Ich will alleine sein, ich muss mir darüber klar werden wie es weitergeht, wohin ich als nächstes will und vorallem wie ich mich wieder aufrichten kann.

Nachmittags mache ich mich halbherzig auf die Altstadt zu besichtigen und meine verschollene Austauschschülerin Maria ausfindig zu machen.

Ich nenne dem Taxifahrer die Adresse, die ich noch genau erinnere, Calle de Incas, im Stadtteil Surco. Der Taxifahrer der aussieht wie Woody Allen (ich gebe zu, da musste ich sogar ein kleines bisschen lächeln), zieht eine Augenbraue hoch: Seguro?, ob ich sicher bin?. Klar, warum nicht.

Wir fahren über endlose Stadtautobahnen, der Smog ist so dicht, dass man das Gefühl hat es wird gleich dunkel, Plastiktüten, Plastikflaschen, Staub und Armut wechseln sich mit schicken Boutiquen und nett hergerichteten Plätzen ab. Sah es hier vor zwanzig Jahren auch so aus? Schwer zu sagen, ich kann mich vage erinnern.

Etwas fällt mir aber auf: Die vielen  Wachposten vor den Privathäusern mit den Maschinenpistolen sind verschwunden. Ich kann mich noch genau erinnern wie ich damals mit 15 Jahren zu Tode erschrocken bin, als ich das erste Mal so einer AK-irgendwas gegenüber stand, und wir wolten doch nur eine Freundin von Maria besuchen. 

Der Terror scheint also aus Lima verschwunden zu sein, die Tristesse ist geblieben, der Smog auch.

Wir erreichen die Calle de Incas Nr. 1758 und ich stehe einem Haus gegenüber, das verlassen scheint und auch nicht so aussieht wie das Haus der Gastfamilie, das ich als Foto dabei habe. No, gracias, sage ich zu Woody Allen und bitte ihn zurück zum Hostel zu fahren. Woody schüttelt den Kopf und denkt sich wahrscheinlich seinen Teil über die trübsahlblasende Gringa auf dem Rücksitz. 

 

Im Hostel angekommen lege ich mich wieder auf mein Bett im 8-er-Schlafsaal und starre den Lattenrost über mir an. Die Matraze ist in Plastikfolie gehüllt, der Lattenrost besteht aus einfachen, hingenagelten Brettern. Nein, denke ich mir. Ich muss hier weg. Ich muss wohin, wo es schön ist und die Sonne lacht, irgendwo hin wo es 9,99Millionen Menschen weniger gibt. Ich schlage den Reiseführer auf und finde Huacachina im Süden von Peru: Sanddünen und eine Oase! Oase! Genau, das ist es was ich jetzt brauche. Ein Fleck Hoffnung in einer dürren Gegend!

Ich versuche so früh wie möglich zu schlafen und nehme mir für morgen wieder vor zu lächeln, den Facebook-Messenger lösche ich, denn das warten auf eine Nachricht vom Franzosen treibt mich in den Wahnsinn. Aus, vorbei. Morgen: reset.

 

Morgens um fünf bin ich hellwach! In den Betten um mich rum wird geschnarcht, in den Decken gewühlt und der Rausch der letzten Nacht ausgeschlafen. Ich dusche und schleppe leise meinen Rucksack raus.

Auf der Straße winke ich das erste Taxi heran und wisst ihr wer mich anschaut mit einer Zigarette im Mundwinkel: Woody Allen. Ehrlich, kein Witz!. ¨Hola, chica¨, begrüßt er mich, ¨ adonde vamos hoy?¨

Okay, wenn ein Tag so beginnt, kann es nur großartig werden.

Wir fahren zum Busbahnhof und ich steige in den ersten Bus Richtung Ica.

 

Fünf Stunden später, nach einer Fahrt durch surreale Wüstenlandschaften, in deren Mitte plötzlich immer wieder grüne Felder mit aufgeschossenem Spargel hervorplatzen, scheint die Sonne und ich bin in Ica. Mit einem TukTuk fahre ich nochmal 20 Minuten und erreiche mein persönliches Paradies!

Wie von einem anderen Stern ragen hier 40, 50, 60m hohe Sanddünen, gruppiert um einen kleinen See, steil empor. Sie sind so makellos, das sie mich an den Windows-Bildschirmschoner erinnern.

Um die kleine Oase in der Mitte reihen sich Restaurants und Hostels. Ich suche mir das ¨Desert Nights¨ raus, denn dort, so habe ich gelesen, gibt es richtigen Kaffee.

Und so sitze ich mittags um 12Uhr endlich unter einer schattenspendenden Palme, trinke einen echten Espresso und bewundere die schönsten Sanddünen, die ich je gesehen habe und schon wieder schleicht sich leise Wehmut ein...

Aber wofür gibt es gute Freunde und Skype. Ich telefoniere mit Misha. Misha, der im richtigen Moment, die richtigen Worte findet: ¨Kauf dir ein Bier und Zigaretten und dann telefonieren wir!¨.

Eine Stunde später bin ich von meinem Bierfrühstück etwas angeheitert und innerlich wieder aufgestellt, das hat gut getan.  Jetzt geht`s los in die Dünen!

Warmer Sand an den Füßen, nicht heiß, angenehm und so weich wie Mehl. Ich stapfe tapfer auf dem Grat immer Richtung Dünengipfel. Vorbei an peruanischen Snowboardern, die genauso lässig mit ihrem stylischen Outfits in den Hängen sitzen und rauchen, wie ihre Schweizer Kollegen. Sandbuggys mit johlenden Tagestouristen überholen mich, kein bisschen Müll kreuzt mein Weg und umso höher ich komme umso gigantischer wird der Ausblick. Sanddünen, Sanddünen und nichts als Sanddünen, das Licht bricht sich in tausend gelb und ocker Tönen und unten, ganz weit unten glitzert der kleine See. Schön ist es hier!

So sitze ich eine Weile in dem gigantischen Sandkasten, höre Musik und beobachte die Snowboarder bei ihren kuriosen Abfahrten, sogar einen Mann auf Skiern kann ich entdecken.  

Als sich die Sonne langsam anschickt unter zu gehen und immer mehr Touristen die Dünen hochklettern merke ich, das ich keine Kamera für den Sonnenuntergang dabei habe.

Wenn ich mich beeile, kann ich es noch schaffen. Ich renne die steile Düne in einem Affenzahn hinab, was wohl nach Spaß aussieht, denn zwei Touristeninnen machen es sofort nach. Und so purzeln wir irgendwann lachend alle übereinander, denn eine Sanddüne hinunter zu rennen ist nicht so einfach. Nächstes Malnehme ich das Snowboard! 

Ich hole schnell meine Kamera im Hostel, kaufe mir nochmal ein kaltes Bier, verstaue alles im Rucksack und nehme die Düne ein zweitesmal in Angriff.

Oben angekommen sitze ich in der Nähe einer Gruppe Mittfünfziger aus Sachsen. Eidebipsch...diesen Dialekt hatte ich ja total vergessen!

Die Sonne geht unter und hüllt die Sanddünen in ein zartes rosa. Mein Kronkorken plöppt und ich nehme einen tiefen Schluck vom kalten Cusqueno. Jaaaaaa, das Leben ist schön.

Die Sachsen haben mich entdeckt. ¨Die macht´s genau richtig¨, sagt ein Mann. Seine Frau entgegnet etwas schnippisch: ¨ Naja, wenn man halt alleine ist, braucht man vielleicht ein Bier zum Trost. So Alleinreisende sind schon irgendwie besonders¨.

Besonders, denke ich....warum auch nicht. Ich sitze noch lange da und schaue der Sonne nach. Alles wird gut, denke ich.    

 

Am nächsten Tag gehts mit dem Nachtbus nach Arequipa, der weißen Stadt im Süden von Peru.

Die Fahrt dorthin führt mich durch karge Wüstenlandschaften, vorbei an Gold- und Kupferminen, sowie kilometerweiten Spargelfeldern in mitten staubtrockener Erde. Später erfahre ich, das diese Plantagen dem Monsantokonzern gehören und der Spargel für den Export nach Europa bestimmt ist. Das Wasser für diese Felder wird aus den höheren Lagen abgezapft und hat dort massenhaftes Dörfersterben verursacht, da die Felder in den Höhenlagen ausgetrocknet sind. Vielleicht muss es doch kein Spargel aus Peru in Zukunft sein?

 

In Arequipa quartiere ich mich im ersten Hostel ein, was der lonely planet empfiehlt und lande im ¨Wild Rover¨. 80 Betten in Schlafsäalen, laute Housemusik wabert über den Pool im Innenhof und ein 20jähriger Australier wischt sich morgens um 10Uhr den ersten Bierschaum aus dem zarten Bartflaum. 

 

Am ersten Tag nach einer Nachtbusfahrt bin ich immer etwas gelähmt. Es fällt mir schwer sofort die neue Stadt zu erkunden und so verbringe ich meinen ersten Tag in Arequipa mit lesen am Pool, ein bisschen shoppen und als der Liebeskummer wieder all zu groß wird tröste ich mich mit einem großen Soja-Chai-Latte und einer Zimtschnecke bei Starbucks.

 

Abends im Hostel findet eine Crazy-Hat-Party statt. Es gibt Dinge für die bin ich definitiv zu alt! Um den Pool hüpfen die australischen Sprösslinge mit Bunnyhasenlauschern, Zylindern und Mickeymouse-Ohren, die Mädels im 80iger-Jahre-Revival, die Buben in Shorts und oben ohne. Trinkspiele, Gekichere, Bum-Bum-Musik, das Durchschnittsalter liegt bei 20Jahren, gesprochen wird ausschliesslich Englisch.

Die Cocktails, die hier deutsche Preise haben, fliessen.in Strömen und ich frage mich woher die das Geld für sowas haben. In meinem Reisebudget ist nur Bier drin.  

Morgens um fünf werde ich von meiner roommate Ashley aus Sydney geweckt. Schluchzend sitzt sie auf dem Bett, die Bunnyhasenohren hängen traurig links und rechts herab die Wimperntusche verläuft übers ganze Gesicht: This bloody idiot, this big big -peep-....Und so weiter und so fort. Nachdem sie sich gar nicht mehr beruhigt, klettere ich eben schlaftrunken von meinem Stockbett, lege den Arm um sie und frage: Liebeskummer? Sie nickt und nun rollen die Tränen so richtig. ¨ Ich auch¨, sage ich. Und so sitzen wir beide heulend auf dem Bett, 15 Jahre Altersunterschied, aber Schwestern im Geiste.

 

Am nächsten Morgen bin ich fit und voller Tatendrang und mache mich auf zur free-walking-Tour durch Arequipa. Die Sonne strahlt, die Luft ist kühl und die weißen Kolonialhäuser strahlen. Auf der Plaza sitzen alte Männer mit noch älteren Schreibmaschinen, neben Ihnen Frauen und Männer die wichtige Dinge diktieren. Die Männer tippen, wie geheißen, und das Geräusch der Schreibmaschinentasten schallt über den ganzen Platz. Ein großer, weißer Audi-SUV donnert vorbei und wirbelt den Staub in die Augen der Schuhputzer.   

 

Meine Stadtführung führt mich durch alte Klöster, enge Gassen, wir probieren Meerschweinchen und Pisco sour, chicha morada und 5 der 5000 verschiedenen peruanischen Kartoffelsorten. Arequipa ist eine sehr alte Stadt, erdbebengeplagt, vulkanbedroht, UNESCO-Weltkulturerbe und trotzdem herrscht hier die absolute Gelassenheit. Alles strahlt in weiß, irgendwo bimmelt immer eine Kirchenglocke und am Horizont ragen der Misti, Picchu Picchu und Chachani mit ihren 6000m hohen Gipfeln empor.

 

Am nächsten Morgen bin ich um sieben schon im Bad , weil ich heute für zwei Tage eine Tour durch den Colca-Canyon mache und um acht abgeholt werde. Während ich so meine Zähne schrubbe, hippelt einer der Youngsters neben mir am Waschebecken herum. Kokain, denke ich noch und schon plappert er auf mich ein: Gehst Du in den Canyon....cool...wollte ich auch schon immer hin...ich bin jetzt seit eineinhalb Monaten hier, aber habs noch nicht geschafft....weisst schon.... Party und so, hab immer verschlafen....

Ich gehe einfach, wahrscheinlich merkt er nicht mal, das ich nicht mehr zuhöre. 

 

Meine Colca-Canyon-Tour habe ich beim teuersten Anbieter der Stadt gebucht, ich will mal zwei Tage Luxus, zwei Tage keine Teenis sehen, nicht tausend Höhenmeter hoch und runter wandern und in ranzigen Betten schlafen.

Und so fahre ich mit einer Gruppe Schweizer und Polen, insgesamt 8 Leute, in einem konfortablen, klimatisierten Kleinbus durch die ärmlichen Vororte Arequipas, während unser Guide Paul in perfektem Englisch uns über die Stadt, die aktuelle Politik und Stadtentwicklung referiert. Ich geniesse es mich berieseln zu lassen, während draussen die Landschaft an mir vorbei saust.     

Bevor wir die Stadt verlassen müssen wir alle noch Coca-Blätter kaufen, die meisten der Gruppe sind erst seit einer Woche in Südamerika, noch nicht an die Höhe gewöhnt . Paul erklärt uns genau wie man sie kaut, diesmal nämlich mit einer Paste aus Quinoa-Asche, die mit Gewürzen versetzt ist. Diese Paste wird zusammen mit den Blättern gekaut und wirkt als Katalysator, die alkalische Mischung löst die Inhaltsstoffe 10mal besser heraus und innerhalb kürzester Zeit ist meine Zunge komplett betäubt.

 

Was dann folgt ist einfach nur schön, eine Abfolge von Naturschönheiten, ich staune, fotographiere, atme tief ein und aus und bin ganz hier.

Vicunaherden grasen in einer weiten Ebene, am Horizont der Misti-Vulkan in seiner perfekten Kegelform, bizarre Steinformationen, weitere rauchende Vulkane, Opferhügel für Pachamama, Alpakas und Lamas, kleine Seen und Flüsse, pyramidenförmiges Pampagrass und Weite, Weite, Weite über denen sich immer wieder Tornados aus Staub in die Höhe schrauben und dann einer der tiefsten Canyons der Welt.

Nach dem Mittagessen halten wir bei heißen Quellen und baden im schwefelhaltigen Wasser, während die Leute vom nahen Dorf in ihrer tradinionellen Kleidung Ziegenherden vorbeitreiben.

Abends sind wir in einer wunderschönen Lodge untergebracht, Panoramfenster vor meinem Bett und ein wahnsinniger Ausblick auf den Canyon, Esel grasen vor dem Fenster, warme Filzdecken, weiche Matrazen, ein Kaminfeuer, ein kuschliger Sessel, ein Glas Pisco sour und ein Pole, dem ich das Backgammon spielen beibringen kann.  Es tut unendlich gut, dieser Luxus.

 

Am naechsten Morgen geht es schon um fuenf Uhr los. Die Sonne scheint mir ins Gesicht waehrend ich mein warmes Quinoa-Porridge loeffle, zwei kleine Jungs rennen mit selbstgebastelten Drachen auf der Wiese vor der Lodge umher.

Nur wenig spaeter sitze ich auf einem ultramodernen Mountainbike und duese mit einem Affenzahn die Strasse oberhalb des Canyon entlang, durch die klare Luft und  im warmen Licht des Morgens.

Anschliessend beobachten wir junge Kondore, wie sie in der Thermik ueber dem Canyon ihre Runden ziehen. Paul, unser Guide, erzaehlt, das die Leute hier frueher Kondore auf die Ruecken der spanischen Rinder gebunden haben. Die Kondore sind dabei in Panik geraten und haben mit Ihren Schnaebeln auf den Hals der Rinder eingehackt, unablaessig, bis das arme Tier langsam aber sicher ueber viele Stunden verblutet ist. Es eine symbolische Tat, ein Prostest gegen die spanische Unterdrueckung.

Ueberhaupt erzaehlt Paul viel ueber die Gegend, die Riten, ueber Pflanzen, Geister und Mythen und ich sitze tiefenentspannt im Kleinbus und geniesse es zuzuhoeren.

 

Abends zurueck in Arequipa in meinem Partyhostel werde ich in ein neues Dorm einqutiert. Ich naechtige mit vier halbwuechsigen Jungs in einem Mini-Zimmer, es riecht nach Schweiss, Axe, alten Socken und zuviel ueberschuessigem Testosteron. Zum Glueck nur eine Nacht, denke ich, als ich supermuede recht frueh und trotz heutiger Poolparty, einschlafe.

Um ein Uhr nachts wache ich auf, als mein Handy aufleuchtet: "Ich vermisse Dich und muss staendig an Dich denken", steht da auf franzoesisch.

 

Am naechsten Morgen ganz frueh verlasse ich meine Maennerhoehle, in die sich im Laufe der Nacht gefuehlte 5Promille und 2Gramm Kokain eingefunden haben. Die Luft draussen ist kuehl und frisch und das auschecken aus dem Hostel versetzt mich dieses mal in Hochstimmung. Auf gehts an den Titicacasee, nach Puno und morgen dann nach Bolivien!

 

Ich finde rasch einen guenstigen Chicken-Bus nach Puno, das ca. 6 Stunden entfernt oestlich von Arequipa liegt. Am Busbahnhof habe ich noch schnell zwei Sandwich ergatter, eines mit Spiegelei und mindestens 300g Mayonaise, das andere mit einer Art Frikadelle, Chips und 300g Ketchup. Ich erzaehle Euch das, weil ich finde, das die peruanische Kueche in Restaurants wirklich gut und abwechslungsreich ist, aber sie scheint nur fuer Gringos zu existieren. Normale Peruaner essen hier hauptsaechlich Junk-Food, Kekse, Kekse, Kekse und trinken dazu zuckersuesse, quitschgelbe Inka-Kola. Ich habe auch nirgends soviele uebergewichtige Menschen gesehen und Diabetes ist hier ebenfalls eine der Volkskrankheiten Nummer eins. 

Paul hat erzaehlt, das die Leute hier frueher normalerweise das 100. Lebensjahr erreicht haben, wenn sie nicht als Kinder oder bei der Geburt eines Kindes gestorben sind. Das lag vorallem an der vielen Bewegung, dem cholesterinarmen Meerschweinchen- und Lamafleisch, der guten Calciumversorgung durch die Kokablaetter, eine gute Spurenelementeversorgung durch Quinoa, Alfalfa und Konsorten. Alle Mumien, die in diesem Gebiet gefunden wurden hatten uebrigens alle ihre Zaehne noch und niemals Osteoporose. Dies wird ebenfalls den Cocablaettern zu Gute gehalten. ich sollte wirklich eine Anfrage bei der Bundesopiumstelle starten, ob es nicht moeglich ist, dieses Wundermittel hier zu vertreiben... 

 

Wie auch immer, da ich nicht schon wieder kekse zum Fruehstueck wollte, gibts dann eben Speigelei- und Chipssandwich. Mein Sitz im Bus wackelt, wir fahren ca. 45 Minuten spaeter los, weil noch nicht alle Plaetze verkauft waren und neben mir sitzt eine Cholita, eine traditionell gekleidete Frau mit zwei langen,schwarzen, geflochtenen Zoepfen, einer Melone auf dem Kopf und den weiten, in vielen schichten uebereinandergetragenen Roecken. 

Auf dem Weg nach Puno kaufen wir beide uns bei einer fliegenden Haendlerin Lamafleisch mit Mais und Kartoffeln, das uns in einer Plastiktuete serviert wird. Besteck gibt es keines, als Serviette dient ein Stueck Klopapier, aber das Essen ist grossartig. Meine leere Plastiktuete verstaue ich ordnungsgemaess in meinem Rucksack, meine Sitznachbarin oeffnet das Busfenster und wirft sie samt Ihrer Inka-Kola-Flasche in Weitem Bogen hinaus. Etwas, was einen Mitteleuropaer wie mich, der in Zeiten von Muelltrennung, Tschernobyl und Pfandflaschen aufgewachsen ist, ins Mark erschuettert. Echt jetzt!

 

Puno.... ja hier merkt man, das man Bolivien schon sehr nah ist. Die Menge traditionell gekleideter Menschen haelt sich mit denen in "moderner Kleidung" die Waage, die Strassenhunde haben sich verdoppelt, die Menge der Autos halbiert....es gibt viel mehr strassenstaende mit Essen und ich hoere haufiger Quechua.

 

Mein Hostel ist ganz nett, aber trotzdem moechte ich so schnell wie moeglich ueber die Grenze. Ich nehme mir allerdings noch vor die schwimmenden Uroinseln zu besuchen, bevor ich dann am Nachmittag nach Copacabana in Bolivien fahren werde.

 

Die Uroinseln...sagenumwoben und auf jeder vernuenftigen Postkarte vom Titicacasee abgebildet. Die schwimmenden Inseln aus Schilf errichtet, die stetig erneuert werden muessen und die schon vor Zeiten den Menschen hier Schutz vor den spanischen Besetzer geboten haben. Die Uro-Inseln: Highlight jeder Peru-Rundreise..... und dann das:

 

Okay, das die Sonne nicht schient, dafuer koennen die Uros nichts, aber das was die Peruaner da mit Ihrem Kulturgut angerichtet haben ist wirklich der Ausverkauf der Seele des Landes! Ein Krebsgeschwuer des Massentourismus, was einem am Ende sprachlos und beschaemt zurueck laesst.

In kleine Boote gequetscht werden wir immer in 20iger Gruppen auf eine uns zugewiesene schwimmende Insel verfrachtet, ein Giude spult mechanisch das auf englisch auswendig gelernte Wissen ueber die Inseln ab, dann erhalten wir eine Vorfuehrung wie die Inseln errichtet werden von einem "Originaleinwohner", der die betaubten Augen eines Schlachtviehs hat.  Im Anschluss muessen wir fabrikgefertigten Kitsch kaufen und ein dann fuer 5Euro ein Schilfboot besteigen. Die "Einheimischen" singen uns zum Abschied "Vamos a la Playa" und -das ist jetzt kein Witz- "Alle meine Entchen" auf Deutsch. Ich will nur noch Weg und die Zeit auf der naechsten schwimmenden Inseln, auf der wir unser Geld in Original Uro-Hamburger investieren sollen, scheint nicht zu vergehen.

 

Peru, Peru..... ich bin froh das ich mir den Macchu Picchu Zirkus erspart habe und in Huaraz auch eine Welt jenseits des Massentourismus erleben konnte.

 

Mittags gehe ich zum busbahnhof und will ein Ticket nach Copacabana kaufen. Diesmal, so nehme ich mir vor, passiere ich die Grenze mit all den anderen Touristen und nicht wieder im selfmade-Format. Aber.... leider gab es keinen freien Platz mehr und so muss ich mit einem kleinen Collectivo, eingequetscht zwischen Amaturenbrett, dem Fahrer und einem betrunkenen Typen auf dem Beifahrersitz, mich mal wieder alleine zur Grenze durchschlagen.

Die Busfahrt endet in einem kleinen verschlafenen Nest am Ufer des Titicacasees, mit einem Tuktuk geht es dann nochmal ein paar Minuten einen Feldzeg entlang und vor einem windschiefen Haus vor einem Huegel heisst es dann: " Frontiera", Grenze.

Aha, denke ich und betrete etwas zoegerlich das Hauschen in dem tatsaechlich ein muerrischer Grenzbeamter sitzt.

Zehn Minuten spaeter habe ich meinen Ausreisestempel und bin offiziell aus Peru entlassen. Wehmuetig? Nein....Peru war nicht mein Land.

Mit meinem Rucksack soll ich nun den Huegel hinauf, oben erspaehe ich einen Torbogen und eine kleine Kappele, dort soll Bolivien sein.... das Land von Evo Morales, den Almaras, dem Satelliten Tupak Katari und einer Marineeinheit ohne Meer....Ich schleppe mich den Huegel hoch...immerhin auf 3800m und frage mich, was wohl noch so alles an Ueberraschungen auf mich wartet! 

24.10.14-01.11.14

 

Nächtliche mails, wilde Berge und ein letztes Mal au revoir

 

¨Leben ist das, was man aus dem macht, was einem vor die Füsse fällt¨, frei nach Victor Frankl. 

Was macht man also, wenn einem eine Nachricht erreicht, in der man gefragt wird, ob man nicht Lust hat ein paar Tage durch eine der schönsten Andenregionen Perus zu wandern, sich das Zelt mit einem sehr vertrauten Franzosen zu teilen und sich das Gepäck von Maultieren tragen zu lassen. 

Ich denke, man überlegt, wenn überhaupt maximal wenige Millisekunden, bevor man ein enthusiastisches  Qui! über das Internet als Antwort zurück schickt.

 

Und so ändere ich mal wieder spontan meine gesamten Pläne, tausche mein Busticket nach Lima gegen eines nach Trujillo und setze mich Mittags für 12Stunden in den chicken-bus (so werden hier die weniger konfortablen Billigbusse genannt) um 800km Richtung Süden zu fahren.

Der chickenbus hat einfache Sitze, keine Klimaanlage und verfügt über ein sich niemals erschöpfendes Repertoire an schlechten Actionfilmen. Und während Jean-Claude van Damme gegen irgendwelche Ninjakämpfer wütet, fahren wir durch eine einsame, endlose Wüstenlandschaft.

Die Panamericana schlängelt sich einspurig durch rießige Sanddünen, Ölpipelines am Straßenrand werden von Securities mit Maschinenpistolen bewacht und selten kommen wir an einer Siedlung von einfachen Wellblechhütten vorbei. Und während im Bus lautstark dutzende Menschen niedergemetzelt werden, dösen draussen Straßenhunde im Staub.

 

Auf der Hälfte der Strecke in Chiclayo muss ich umsteigen, was in Perú nicht einfach ist, denn anders als in Kolumbien und Ecuador gibt es hier so gut wie keine zentralen Busbahnhöfe.

Jedes Busunternehmen hat seinen eigenen Bahnhof, mein Busunternehmen fährt aber Trujillo nicht an. Und so kommt es, dass ich mit meinem ganzen Gepäck und einem wortkargen Taxifahrer durch die komplette Stadt im Feierabendverkehr fahren muss. Hier sei mal erwähnt das es in Perú keine Verkehrsregeln gibt, Ampeln nur zur Beleuchtung der Straße dienen und Fußgänger prinzipiell nichts zu melden haben. Erschwerend kommt hinzu, das peruanische Taxifahrer niemals eine Adresse kennen und auch nicht wissen welche Busunternehmen wohin fahren. Niemand scheint das zu wissen und es ist auch niemand daran interessiert mir zu helfen. Und wieder einmal vermisse ich mein geliebtes Kolumbien. Wie einfach war dort doch alles. 

 

Letzendlich ist es aber in Südamerika so, das man am Ende doch immer irgendwie zum Ziel kommt.

Nachts um 1 klingle ich an der Tür des El Mochilero. Ein Hund hinter der Tür knurrt mich wütend an, ein älterer Herr öffnet mir verschlafen die Tür. ¨Tu eres la alemana?¨, bist Du die Deutsche, frägt er mich. Ich werde erwartet, deutet er mir an und zeigt auf eine kleine Bambushütte, die wie ein Bienenkorb im Innenhof des kolonialen Hostels auf einer Zwischenenbene hängt. 

Vorsichtig öffne ich die Tür und zwei vertraute, braune Augen strahlen mich freudig an. Ich habe selten so gut in einem der schlechtesten Betten des Kontinents geschlafen. Es war ein bisschen wie nach Hause kommen. 

 

Am nächsten Morgen kaufen wir die Busticket nach Huaraz für den Nachtbus am gleichen Abend, 12 Stunden und ein Höhenunterschied von 3000m. Ich freue mich wie eine Schneekönigin. 

Mittags fahre ich  mit dem Taxi zur großen Shoppingmall. Ich brauche dringend Wanderschuhe.

In meiner völligen Naivität habe ich vor meiner Abreise nicht damit gerechnet jemals längere Wanderungen zu machen...

Shopping malls in Perú gleichen einer Kleinstadt und ich bin überrascht, was es dort alles zu kaufen gibt. Ich verfalle in einen völligen Kaufrausch, soviel Luxus, soviel Europa, soviel Heimat. Ich schnuppere an den Klamotten von Zara und freue mich über den gleichen Geruch wie zu Hause... Plastik...herrlich, ein Stück Kaufingerstrasse in Trujillo. Ich finde gute Wanderschuhe für 50Euro und einen echten Espresso und fast bin ich versucht mich in einem Day-Spa rundum erneuern zu lassen....aber das wäre dann wohl doch etwas übertrieben!

Abends gönnen wir Drei uns dann noch ein richtiges Gringoessen in einem italienischen Restaurant....frische Pasta mit Steinpilzen, eine Panna cotta als Dessert und dazu ein Glas Chablies...das Leben kann so schön sein! Und ich weiß, ihr habt viele Vorbehalte gegenüber meiner französischen Reisebegleitung, aber eines muss ich diesen verrückten Chaoten sehr zu Gute halten: wenn es ums Essen geht, ist den Franzosen nichts zu teuer und eher schlafen sie in lausigen Betten, als auf ein Glas Wein zu verzichten. Insofern sind wir die perfekte Kombination.

 

Eine Stunde bevor unser Nachtbus abfährt besteigen wir ein Taxi. Wir reichen dem Fahrer unser Ticket auf dem Busgesellschaft und Adresse des Abfahrtortes deutlich in großen Buchstaben zu lesen sind.

und wisst ihr was passiert ist: Eine Stunde später waren wir wieder im Hostel. Der Bus ist ohne uns abgefahren, an einem Ort, den weder der Taxifahrer, noch die 35 gefragten Passanten kennen.

Am Anfang waren wir wütend, dann genervt und am Ende blieb uns nur, das Ganze mit einem gelassenen ¨It is Peru¨ und einer Flasche Pisco hinzunehmen.

Im Nachhinein war das alles aber vielleicht ganz gut, denn unser teuer erworbenes Gringoessen scheint nicht ganz so frisch gewesen zu sein, wie wir dachten...Übelkeit war noch eine der leichteren Beschwerden, die uns Drei in dieser Nach heimsuchen sollten und insgeheim war  jeder froh, das wir uns nicht eine Bustoilette teilen mussten.

 

Den nächsten Tag haben wir damit verbracht neue Bustickets zu kaufen und uns den genauen Abfahrtsort im Stadtplan einzeichnen zu lassen. Müde und geschlaucht haben wir uns dann in die Hängematten im Hostel verkrümmelt, haben unser Gepäck gegen die Riesenlandschildkröte verteidigt, die zum Hostelpersonal gehört und in unseren Büchern gelesen.

Mittlerweile bin ich zu echten Büchern übergegangen, das mit dem Tablet ist einfach zu unpraktisch und es gibt meist einen Büchertausch in den Hostels. Allerdings ist es wirklich  verwunderlich, was wir Deutschen auf Reisen so für einen Schund lesen. Und während ich also die seichten Seiten einer Mary Higgings Clark über mich ergehen lasse, vergehen die Stunden.

In unserem zweiten Anlauf finden wir auch tatsächlich den Bus vom Juan-Christobal-Busunternehmen und abends um 10 kuscheln wir uns in die gemütlichen Schlafdecken und schlafen alle fast augenblicklich ein. 

Um zwei Uhr nachts wache ich auf und kann nicht atmen! ¨ Luft!!!¨, denke ich. Was ist das denn?  Ein riesiger unsichtbarer Stein scheint mir meine Lungen abzudrücken, in meinen Ohren knistert es. Es ist die Höhe! Ich versuche ruhig zu atmen, mich aufrecht hinzusetzten. Es ist das erstemal, das mir die Höhe so zu schaffen macht. Als wir morgens um 6Uhr  Huaraz erreichen, kann ich zwar besser atmen, aber ich habe einen merkwürdigen Kopfschmerz und meine Hände zittern, die Treppen zu unserem Zimmer im Hostel kann ich kaum hochgehen. Das kann ja lustig werden bei der Wanderung, denke ich und schlafe nochmal für zwei Stunden ein.

Als ich aufwache geht es mir kaum besser. Allerdings entschädigt der Blick von der Dachterrasse und das Frühstück für diese Qualen. Vor uns breiten sich im schönsten Sonnenschein schneebedeckte Gipfel aus, die Luft ist kühl und klar, es gibt Kaffee und frische Brötchen und....Coca-Tee!

Dieser Tee bewirkt innerhalb von einer halben Stunde, das ich all meine Leiden los bin und fit wie ein Turnschuh zur Tourplanung erscheinen kann.

Im Hostel haben wir nämlich eine kleine Gruppe gefunden, alle mit dem gleichen Ziel, morgen für vier Tage im Nationalpark Huascarán zu verschwinden:

Ein lustiger, peruanischer Guide erklärt uns wortreich den genauen Ablauf: Morgens um fünf geht es los, danach fünf Stunden Busfahrt, dann 7 Stunden täglich laufen, der höchste Punkt wird ein Pass auf 4780m sein, begleitet werden wir von einem Guide, einer Köchin und einem Mann mit 5 Maultieren, die unser Equipment wie Zelte und Essen schleppen sollen.

Als er uns das alles so erklärt, schweift mein Blick über die schneebedeckten Gipfel in der Ferne und fiebrige Aufregung ergreift mich. Ich bin so froh hier zu sein.

Wir erledigen noch ein paar notwendige Besorgungen wie warme Mützen, Handschuhe und ein großer Beutel Cocablätter gegen die Höhenkrankheit. Und bevor jetzt einige von euch ein Krisenkommando zusammentrommeln wollen, um mich aus der Drogenhölle zu befreien: Die Cocablätter haben keinerlei rauscherzeugende Wirkung und machen nicht süchtig, aber sie helfen wunderbar gegen Kopfschmerzen, Luftnot, Hunger, Kälte und Müdigkeit und in Peru kann man sie in Teebeutel verpackt im Supermarkt kaufen.

Während unseres Einkaufsbummels in dieser wenig attraktiven Stadt entdecken wir ein kleines französisches Restaurant in einer Seitengasse. Es genügt ein Blick, dem stilles Einvernehmen folgt. In Anbetracht der drohenden vier Tage voller Entbehrungen gönnen wir uns dort dann ein letztes großes Abendmahl: Es gibt zartes, saftiges Alpakasteak in einer süss-scharfen Soße aus Physalis, knuspriges Meerschweinchen mit Süsskartoffeln und für den Puristen in unserer  kleinen, verschworenen, kulinarischen Gemeinschaft Boeuf bourguignon.Wir trinken pepuanischen Rotwein und besiegeln alles mit drei sehr starken Pisco sours. Jetzt kann es losgehen! 

 

Als morgens um halb fünf der Wecker klingelt, ist es bitter kalt und alle laufen wie ferngesteuert im Hostel umher und verstauen ihr großes Reisegepäck im Luggageroom. Wir brauchen nicht viel die nächsten Tage, warme Kleidung, was zum wechseln, Regenjacke und Stirnlampe und wir haben mal zur Sicherheit noch Spielkarten und eine Flasche Rum mit im Gepäck...man weiß ja nie!

Zweieinhalb Stunden rumpelt unser kleiner Minivan mit den kaputten Stoßdämpfern vorbei an kleinen Dörfern, Indiofrauen mit Kindern auf dem Rücken sitzen am Straßenrand, Männer mit zylinderartigen Hüten schleppen riesige Säcke mit Mais und Kartoffeln, die Straßen sind staubig und wir versuchen trotz den sehr beengten Verhältnissen alle nochmal ein bisschen Schlaf zu bekommen. Hinter Yungay geht es dann eine steile Schotterpiste hinauf, die Sonne strahlt aus einem eisblauen Himmel und vor uns türmen sich die steilsten Felswände, die ich je gesehen habe auf. Nun schläft keiner mehr, alle starren wie gebannt auf diese wilde, rauhe und so wunderschöne Landschaft.   

Wir passieren eine kleine enge Felsspalte bevor sich vor uns eine Art Canyon öffnet und sich der türkisfarbenste Bergsee aller Zeiten vor uns ausbreitet. Wir halten für ein paar Fotos und ich möchte gar nicht wieder in den Bus einsteigen. Aber es sollte nur der Beginn einer immer bizarrer und schöneren Landschaft werden. Wir passieren einen weiteren Bergsee, der in tausend verschiedenen Grüntönen in der Sonne glitzert, ruckeln steile Serpentinen zu einem Pass hoch, flankiert von gewaltigen Gletschern und Wasserfällen. Rießige Greifvögeln fliegen über uns hinweg und im Bus herrscht absolute Stille. 

 

Als der Bus nach sechs Stunden Fahrt vor einem kleinen Haus am Rand eines Bergdorfes anhält bin ich froh. Ich will endlich raus, will mich bewegen, will die Luft einatmen und diese wunderschöne Natur erobern!

Eine Stunde später, schließlich mussten die Maultiere noch beladen werden, geht es dann auch los. Ganz langsam, denn die Höhe von 3500m macht uns allen ein bisschen zu schaffen. Und so setzten wir ein Fuß vor den anderen und kauen bedächtig unsere Cocablätter,  7 Stunden zu Fuß liegen vor uns. 

Ich weiß gar nicht wie, aber die Zeit verging im Flug. Hinter jeder Wegbiegung hat sich ein neues Naturschauspiel offenbart, haben sich steile Felswände mit moosigen Mooren abgewechselt, Bäche wie gemalt mussten überquert werden, wilde Pferde galoppierten an uns vorbei. Die Zeit verging, aber gemerkt habe ich es nur daran, das die Füße immer schwerer wurden. 

Als es schon langsam dämmert, erreichen wir unser erstes Nachtlager, umsäumt von wunderschönen Bergen, direkt an einem rauschenden Bach. 

Während wir uns aus unseren verschwitzen Klamotten pellen und gegen wärmere Kleidung tauschen, wird unser Nachtlager errichtet, kleine bunte Zelte und in der Mitte eine Art Jurte, die uns als Gemeinschaftszelt zum Essen dienen soll. Dort versammeln wir uns dann auch, sitzen auf kleinen Klapphockern im Schein einer einzigen Kerze und erzählen uns von unseren bisherigen Reiseerlebnissen. Es ist innerhalb weniger Minuten, nachdem die Sonne verschwunden war, bitterkalt geworden. Wir sitzen alle tief vermummt mit Mütze, Schal und Handschuhe im Kreis und warten sehnsüchtig auf unser Abendessen. Seit gefühlten Stunden duftet es schon verführererisch aus dem Zelt der Köchin nach Knoblauch, Zwiebeln und Hühnersuppe und mein Körper verlangt mit allem was er aufwarten kann nach Kalorien!

Als wir endlich satt sind, macht sich das große Gähnen breit. Es ist erst acht Uhr abends, aber es fühlt sich an wie tief in der Nacht. Jeder nimmt noch einen großen Schluck Rum gegen die Kälte und alle verziehen sich still, satt und zufrieden in die Zelte.

Da liege ich also, denke ich so gegen zwei Uhr nachts. Liege in einem Daunenschlafsack, es ist stockdunkel, draussen veranstalten die Kühe Dinge, die ich bei Kühen noch nie gehört habe, der Wildbach rauscht und ich bin mir sicher das ich meinen Atem sehen könnte, hätte ich Licht. Die Zeltwand drückt nass gegen mein Gesicht und ich höre den ruhigen Atem meines Franzosen neben mir. Es ist bitterkalt und ich friere erbährmlich, aber trotzdem bin ich glücklich wie selten in meinem Leben. 

 

Irgendwann scheine ich dann doch wieder eingeschlafen zu sein, denn der Weckruf um fünf reisst mich aus wilden, höhenluft-geschwängerten Träumen. Wie in Trance versuche ich mich ein bisschen an dem eiskalten Bach zu waschen, zumindest das Gesicht...

Der Kaffee schmeckt herrlich in diesem Panorama und wir kauen alle still unser Marmeladenbrötchen.

Wir haben Respekt vor dem heutigen Tag, denn 1200Höhenmeter auf den Pass und 8-9Stunden Gehzeit liegen vor uns. 

Zelte abbauen, Schlafsäcke auf den Maultieren verstauen, Wasserflaschen füllen. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch den Morgennebel und ich stecke mir eine Portion Cocablätter in den Mund, denn die Kopfschmerzen sind wieder da. Ein Geschmack von grünem Tee macht sich in meinem Mund breit, während ich die trockenen Blätter zu einem großen Klumpen in meiner Backentasche verwandle.

Es ist erstaunlich, aber fast genau 30 Minuten später geht es mir Bestens und ich setzte tapfer einen Fuß vor den anderen während der schmale, steinige Pfad sich immer weiter bergauf windet. Es geht über ein Plateau mit kleinen Seen, dann wieder über glatte Steinplatten immer weiter hoch. Bunt bepackte Maultierherden kommen uns entgegen, Pampagras und rießige Findlinge am Wegrand. Und es ist bis auf den Wind unendlich still. Und ich meine still. Nicht still wie zu Hause, wo man doch irgendwie die entfernte Autobahn hört, wenn man sich konzentriert. Nein....es ist still. 

Irgendwann besteht der Weg nur noch aus steilen, blanken Felsplatten, die Sonne scheint und wärmt angenehm den Nacken, wir laufen weit verstreut, denn jeder geht jetzt seinen eigenen Rhythmus. Es ist anstrengend und die Luft ist knapp. Ich kann den Pass sehen als ich ein halbverwesetes Maultier am Wegrand passiere. Was sie wohl mit uns machen, sollte sich einer verletzten? Ich versuche mich nun auf den letzten Metern des Aufstiegs gut zu konzentrieren, weiche bedächtig den entgegenkommenden Maultieren aus und fixiere starr das Loch in der Felswand, wo sich der höchste Punkt unserer Wanderung befinden soll.

 

Die letzten Meter ähneln einer steilen Steintreppe, oben steht Phillipe und verkündet in seinem neu gelernten Deutsch unsere verschwörerische Kennung  seit wir zusammen ¨die fetten Jahre sind vorbei¨, gesehen haben: 

¨Die beste Idee überlebt, Nicole!¨, grinst er mich an. In meinem neu gelernten französisch bekomme ich nur noch ein dünnes ¨Putain!¨ hin.  

Und dann stehe ich oben. Punta Union, 4750m.s.n.m., so hoch wie der Mont Blanc. Unter uns ein weites Tal, ein eisblauer Bergsee und rießige Gletscher, die uns mit regelmäßigem Donnergrollen klar zu verstehen geben, das wir ihnen nicht zu nah kommen sollen.

Geschafft!, Glücksgefühle durchströmen uns, alle haben rote Backen und ein breites Grinsen im Gesicht. 

 

Die folgen drei Stunden Abtieg sind die reinste Erholung und wir so geflasht von unserem Gipfelsturm, der dünnen Luft und der großen Freiheit, das wir manchmal wie Kinder laut schreiend einfach den Weg nach unten rennen.

Das Tal erweitert sich etwas, es wird wieder etwas grüner und ein Bach wie gemalt, schlängelt sich unwirklich neben uns her. Auf einer Ebene errichten wir unser Lager für die zweite Nacht, wir sind verschwitzt, dreckig und hungrig...aber Essen gibt es wohl erst in zwei, drei Stunden. 

Und versuche ich mich an einer einsamen Stelle am Bach zu waschen. Mein Körper ist noch aufgewärmt vom Laufen und ich denke mir, das das wahrscheinlich das ungewöhnlichste Kneipp-Bad meines Lebens wird. Ich hänge meine Kleider über einen Busch in der Nähe und steige nackt wie Gott mich schuf in den Gebirgsbach. Ahhhhhhhhhhh.......wenn Wasser irgendwo unterhalb des Gefrierpunktes noch flüssig sein kann, dann an diesem einsamen Ort in den Anden. Mein Bad dauert nur wenige Sekunden, aber wohl lang genug, dass sich eines der Maultiere an meinen Kleider zu schaffen macht! So schnell war ich noch nie von A nach B gerannt, gerade rechtzeitig um mein T-Shirt zu retten.

Und dann kommt eine bleiernde Müdigkeit. Während ich zum Zelt zurück laufe, fallen mir schon die Augen zu. Phillipe schlummert schon in seinem Schlafsack, als ich das Zelt öffne, nimmt mich grummelnd in den Arm und wärmt mich. Seelig, denke ich.

 

Den restlichen Abend verschlingen wir alles was Maria, unserer Köchin, an Essbarem aufzutischen vermag, spielen Karten und versuchen unsere kalten Glieder mit dem restlichen Rum geteilt durch 9 aufzuwärmen. Es ist lustig, kalt und einfach perfekt.

Nachts fegt dann ein fieser Sturm mit Regen über uns hinweg, aber wir haben das zelten mittlerweile perfektioniert. Hier muss ich mal empört feststellen, das es eine urban legend ist, das wenn man nackt im Schlafsack liegt weniger kalt ist! Ich rate dringend davon ab. 

Meine Wohlfühltemperatur im Zelt erreiche in dieser Nacht mit Leggins, Wanderhose, zwei Langarmshirts, einer soft-shell-Jacke, Mütze, Schal, einem Franzosen und dessen Schlafsack als zweite Decke. Letzteres allerdings nur für einen kurzen glücklichen Moment.

 

Der nächste Morgen beginnt um sechs Uhr. Zusammenpacken, Marmeladenbrötchen und Kaffee, Zähneputzen und los. Heute ist es entspannt, 7 Stunden das Tal bergab, herrlicher Sonnenschein. Wir erreichen den Oberlauf eines Flusses, das Flussbett ist so breit wie das Tal, der Boden aus feinstem Sand, kleine Wasserrinnsale links und rechts von uns und in der Ferne ein erneuter dunkelgrüner Bergsee.

Heute gehen wir stumm, jeder für sich und ich gebe zu die Knochen schmerzen. Da hilft auch kein Coca-kauen. Wir lassen nach und nach ein paar Höhenmeter hinter uns und die Landschaft ändert sich unablässig. gigantische Wasserfälle speisen den kleinen Wasserlauf unablässig und langsam formt sich ein bizarrer Bergbach, überdimensionale Steine liegen wie vergessen im saftigen grün, Wasserpflanzen blühen rot und gelb im Wasser und so scheint es als wäre das Wasser bunt gefärbt.

Es ist so schwer zu beschreiben, aber die Natur dort ist einer Perfektion hingemalt, als gäbe es tatsächlich soetwas wie einen göttlichen Landschaftsarchitekten und das hier ist sein Meisterstück. Klingt pathetisch, ich weiß, aber schaut es Euch selbst mal an.....

 

Unser letztes Nachtlager liegt nicht minder romantisch wie in einer Northface-Werbung in der Wildniss. Aber an diesem Abend sind alle erschöpft. Wir spielen noch ein paar Runden Poker und gehen früh schlafen. Ein sich ankündigendes Gewitter löst sich glücklicherweise in Nichts auf und die paar Meter weiter unten machen sich deutlich an den nächtlichen Temperaturen bemerkbar.

Am nächsten Tag müssen wir noch drei kurze Stunden gehen bis wir unser Ziel ein kleines Bergdorf erreichen.

Es war eine der intensivsten und schönsten Wanderungen meines Lebens und mehr denn je steht nun fest, das ich diesen Kontinent nicht verlasse, ohne Patagonien unter meinen Füssen gespürt zu haben.

 

Tja und dann... alles Glück der Welt hält nicht ewig. Jenseits der Loire und rechtrheinisch ziehen sehr dunkle Gewitterwolken auf und diesmal sind die Grenzen deutlich zu spüren.

Zeit zu gehen, ob ich will oder nicht.

Phillipe bringt mich zum Nachtbus nach Lima. Wir schauen uns lange in die Augen. ¨bis ganz bald, wir sehen uns in drei Wochen in La Paz¨, sagt er. Und wir wissen beide, daß es so nicht sein wird.

Ich steige in den Bus und es zerreißt mich fast, Sophie Hunger singt: ¨Ich heb mein Glas und salutier Dir, Universum. Dir ist ganz egal ob und wer ich bin. Du bist ungerecht und deshalb voller Hoffnung.¨

Wie lange hatte ich schon keinen Liebeskummer mehr.

 

So und da bin ich nun. Wieder alleine unterwegs. Und ich bin so froh das es Euch gibt, das ihr mit mir leidet und mich im nötigen Moment zur Raison ruft. Die rosaroten Einhörner sind nun weg und die Realität hat mich wieder, aber im Moment ist sicher auch einer der Tiefpunkte dieser Reise erreicht.

Egal. Es wird weitergehen, wieder besser werden.  Gut zu wissen, das man Freunde wie Euch hat und eine Familie, die einen wirklich vermisst!

 

 

  

   

17.10.14-23.10.14

 

700km auf der Panamericana, buenas ondas und anderem Zirkus

 

Nach 10 Stunden im Bus von Quito erreiche ich Cuenca, eine Provinzhauptstadt im Süden Ecuadors.

Es ist bereits dunkel als der Bus sein Ziel erreicht. Mit dem nächsten Taxi lasse ich mich in das einzige Hostel fahren, daß der Lonelyplanet für diese Stadt empfiehlt, das El Cafecito. Mir ist eh alles egal, nach 2 Tagen Party und 10 Stunden Busfahrt will ich mich einfach nur ausstrecken und in einen tiefen Schlaf fallen. Leider nimmt das El cafecito seinen Namen sehr ernst, die Schlafsäale sind um ein floriendendes Café im Innenhof gruppiert, 90iger-Jahre-Euro-Pop dröhnt aus den Lautsprechern und die Matraze meines Betts scheint in der Mitte ein Loch zu haben. Egal, egal, egal...ich putze mir die Zähne, rolle mich ganz an den Rand der Matraze und wünsche mir für morgen vom Universum einfach nur Sonnenschein zum Frühstück. 

Und siehe da! Als ich um sieben aufwache ist der Innenhof sonnendurchflutet, der Besitzer vom El Cafecito hat frische Blumen auf die Tische gestellt und es duftet herrlich nach Kaffee, die Dusche ist durchgehend warm und das Frühstück ein Traum. Nachdem sich das Universum soviel Mühe gegeben hat , beschließe ich mich zusammenzureißen und auch mal wieder zu lächeln.

Ich bezahle meine 15Dollar für Übernachtung und Frühstück und mache mich zu Fuß auf zum Terminal de bus. Cuenca erinnert mich an Popayan mit seinen strahlend weißen Kolonialgebäuden, dem eisblauen Himmel und den entspannten Menschen. Kurz überlege ich doch noch einen Tag hier zu bleiben, da stehe ich auch schon vorm Busbahnhof. Venga, denke ich, auf nach Peru.

 

Mein Ziel für heute ist Tumbes, die erste Stadt hinter der Grenze an der peruanischen Küste. Mein Bus nach Huanquillas, wo sich der Grenzübergang befindet, verlässt keine 10Minuten später Cuenca.

Fünf Stunden später stehe ich hilflos in einem trubeligen Grenzstädtchen. Es sollte einem immer ein bisschen zu denken geben, wenn man als einzigster Tourist in einem Bus zur Grenze sitzt, aber jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern. 

Es ist brütend heiß, die ganze Stadt ist ein rießiger Markt, es riecht nach verfaultem Obst, und gammeligem Fleisch, Männer zischen mir hinterher, eine dicke Frau spuckt mir vor die Füsse. 

Ich habe keine Ahnung wohin und innerlich widerstrebt es mir hier irgendjemand anzusprechen. Ich habe ein bisschen Angst, umarme fest meinen kleinen Rucksack, in dem sich alle meine meine Wertsachen befinden und laufe einfach gerade aus. Ich versuche ein Taxi anzuhalten, was mich zur Grenze fahren soll, aber es will einfach keines halten. Was ist in dieser verdammten Stadt nur los? 

Ein Hund knurrt mich böse an, ich laufe weiter, T-Shirt-Verkäufer, laute Musik, Abgase, dicke Fliegen auf grünlichem Fleisch, ich habe Durst, wo ist diese Grenze?

¨ A Peru, senorita?¨, frägt mich ein kleiner Mann mit dunklen, runden Augen, einem schmutzigen T-Shirt und zerschließenen Jeans. Für 5 Dollar will er mich zur Grenze fahren und dann weiter nach Tumbes bringen.

Während ich noch überlege woher der Typ plötzlich gekommen ist, scheint es in meinem Gehirn irgendein Kurzschluß gegeben zu haben, der mich für eine Stunde völlig hirnlos macht..

¨ Okay!¨, sage ich und folge ihm durch enge Gassen voller Verkaufsstände, dubiosen Geldwechslern und sonstigen kuriosen Gestalten. Ein dunkleblauer, alter Toyota hält plötzlich neben mir. ¨ El taxi¨, sagt mein Begleiter, ich werde auf den Rücksitz verfrachtet, er nimmt auf dem Beifahrersitz Platz, am Steuer sitzt ein seltsamer Typ mit einer langen Narbe überm Gesicht. 

 

Innerlich verabschiede ich mich von meiner Kamera, meinen Papieren und meinen Kreditkarten. Ich sitze auf dem Rücksitz wie paralysiert und reaĺisiere für einen kurzen Moment in was für einer Situation ich mich befinde!

Stupido!!! Wie blöd, kann man sein!, hadere ich mit mir selbst. ¨ We arrreee verrry gooood people!¨, sagt mein Seelenfänger vom Beifahrersitz, wir sind sehr gute Leute....ja, ja...denke ich, und ich bin Heidi Klum!

Als wir nach 15 Minuten Fahrt über eine leere Autobahn durch wüstenähnliche Landschaft einen rießigen Grenzposten erreichen, kann ich mein Glück kaum fassen!  

Mit all meinen Habseligkeiten stehe ich in voller Gesundheit vor dem ecuadorianischen Zollbeamten. Ausreisestempel, zack. Peruanische Immigration, Einreisestempel, zack. Bienvenidos in Peru!

 

Als ich aus dem Zollhäuschen komme, sitzen meine zwei Halunken vom illegalen Taxi bei den Grenzpolizisten und unterhalten sich in freundlichem Ton. ¨Vamos a Tumbes?¨, gehn wir nach Tumbes, frägt mich mein Chauffeur. Weit und breit kein offizielles Taxi, ich blicke die Grenzpolizisten fragend an.

Der Mann in Uniform, nickt ernst und sagt, es sei sicher mit den Beiden. Echt jetzt?, denke ich. Na gut, was soll ich auch machen, ich kann ja schlecht alleine 25km durch die Wüste in die nächste Stadt laufen.

Also, wieder rein in den Toyota und nach fünf Minuten Fahrt kommt dann, worauf ich die ganze Zeit gewartet habe: ¨In Tumbes werden wir zu einem Geldautomaten fahren und Du gibst uns das Geld!¨

Habe ich das wirklich richtig verstanden?, mein Spanisch ist ja nach wie vor bescheiden. Ich straffe die Schultern und sage einfach mal ganz frech: Ich habe kein Geld! 

Nein Senora, sagt er, nach Tumbes würde es 120peruanische Soles kosten, das sind umgerechnet 40€ und Dollar würden sie keine nehmen. Im ersten Moment froh, das sie wohl nicht mein gesamtes Geld vom Geldautomaten wollen, registriere ich im Nächsten die unverschämt hohe Summe!

Und manchmal, ich weiß nicht warum, ist meine Wut größer als meine Angst. In einem sehr leisen, sehr sehr ernsten Ton sage ich, das sie sofort umkehren sollen und wir zur Polizei fahren werden. Sofort!

Tranquillo!, beruhigt mich der Idiot. Ich insistiere. Ich will sofort zur Polizeit und zwar rapido. Es kommt zu einer lauten Diskussion zwischen beiden Peruanern, ich verstehe nichts, aber ich bin fuchsteufelswild.

Auf keinen Fall werde ich diesen Banditen 40€ in den Rachen werfen!

Wieviel Geld hast Du?, werde ich gefragt. Schnell überschlage ich, was sich noch in meinen Hosentaschen befindet... um die 45 Dollar in kleinen Scheinen. 25Dollar, sage ich, keine Soles. 25 Dollar oder policia!

Okay, sagt der Typ mit der Narbe. Die nächsten Minuten sitzen wir Drei stumm schnaubend vor Wut zusammen im Taxi. Am Ortsschild Tumbes werde ich aus dem Wagen geworfen, 25 Dollar leichter, aber immerhin lebendig. Ich schwöre mir keine Sekunde länger in diesem Tumbes zu bleiben.

Ich hebe an einem Geldautomaten einige Soles ab und setze mich auf eine Parkbank.

Jetzt kommt sie die Angst... mein Gehirn beginnt wieder zu arbeiten und Tränen laufen mir übers Gesicht. Verdammte Axt!, denke ich. Was war bloss los mit mir! Ich vermisse meinen Franzosen, alleine ist es doch nicht so leicht....

Ich schlage den Reiseführer auf und schaue nach, wohin ich mich flüchten kann. Mancora, steht da. Ein Surferdorf, wo das ganze Jahr die Sonne scheint, zwei Stunden südlich von Tumbes. Es ist schon spät und es wird dunkel sein, wenn ich dort ankomme, aber allemal besser, als dieses Verbrechernest!    

 

Ich sitze in einem kleinen VW-Bus und wir fahren die Panamericana Richtung Süden. Links die Wüste, rechts der Pazifik und ein unglaublicher Sonnenuntergang. Alles wird gut, sage ich mir immer wieder und als wir in Mancora ankommen und unzählige Touristen fröhlich zwischen Souvenirständen herumlaufen lässt die Anspannung etwas nach. 

 

Von einem Tuk-Tuk-Fahrer lasse ich mich in ein Hostel direkt am Strand fahren. Im Innenhof von meiner Unterkunft steht ein bunt bemalter VW-Bus mit Surfbrettern auf dem Dach, sehr schöne, sehr sehr coole Menschen sitzen in in kleinen Grüppchen zusammen und trinken Bier. Es ist ein bisschen wie in der Werbung, aber wer will sich über soetwas beschweren, nach dem er sich gerade mit zwei ausgefuchsten Betrügern angelegt hat.

Ich schlendere die kleine Strandpromenade entlang und esse herrlich frisches Ceviche in einer kleinen Bar. Palmen wehen im Wind, ich höre die Brandung und erleichtert atme ich die salzige Luft ein.

Als ich zurück ins Hostel komme sind alle Leute verschwunden, ich lasse mich in eine Hängematte fallen und blicke auf das schwarze Meer und die hohen Wellen die gegen die Wand vom Hostel schlagen. Unheimlich, denke ich gerade, als mir jemand auf die Schulter tippt.

¨Hola, me llamo Oscar, y tu?¨, ein Peruaner mit wilden Locken und nur einer Short bekleidet lächelt mich an. ¨ Ich heiße Nicole¨, sage ich wenig enthusiastisch. Hola, sagt er nochmal und küsst mich auf die Lippen.

Bahhh!, hört das denn nie auf!!! Böse funkle ich ihn an und gehe in meinen Schlafsaal, der mir heute Nacht ganz alleine gehört. 

Ich schlafe schlecht, erstens aus Angst, das mich wieder jemand ins Bein beisst, zweitens weil die Wellen in lautem Krachen gegen die Frontwand meines Zimmers krachen, bei besonders heftigen Wellen, hört man die Mauern knirschen...

Total zerstört wache ich am nächsten Morgen auf. Noch so ein Tag wie gestern und ich brauche eine psychotherapeutische Intervention! Ich vermisse meinen Franzosen, mein Hostel ist Tsunami-gefährdet und wildfremde Männer küssen mich einfach. Eine Weile liege ich in dem muffig riechenden Bett und wälze mich in Selbstmitleid. Am liebsten würde ich mir die Decke über den Kopf ziehen und mich in Luft auflösen. Zum Glück wird mir das bald langweilig und ich stehe doch auf. Schlimmer kanns ja nicht werden. 

Ich genehmige mir ein großartiges Frühstück, suche mir ein neues Hostel mit Zimmer zur Straße, weit weg vom Meer, mache mich strandfein und lasse mich in den weißen, warmen Sand sinken. 

Augenblicklich schlafe ich ein und wache zwei Stunden später erholt und mit einem schicken krebsroten Sonnenbrand wieder auf. Egal, ich spüre meine Energien zurück kommen. 

Den restlichen Tag verbringe ich mit Hörbuch hören am Strand, ich schaue den Surfern zu, beobachte wie die Pelikane Formation fliegen und schlage mir Abends den Bauch mit einer rießigen Portion Ceviche voll.

Um neun bin ich hundemüde, mit der Welt versöhnt und verschließe die Tür zu meinem eigenen! Zimmer , und selbst als um halb drei nachts einer der Jugendlichen vom Nachbarzimmer die letzten drei Mojitos vor meiner Tür zurücklässt, ist mir das eigentlich egal. Ich drehe mich einfach um, kuschle mich in meine Decke und beschließe morgen Surfen zu lernen. 

 

 

Herrlicher Sonnenschein begrüsst mich am morgen, Carolina von der Strandbar bringt mir Kaffee, Obstsalat und Rühreier, ich lese etwas Süddeutsche online und bohre meine Zehen in den warmen Sand. Unten am Strand beobachte ich wie eine junge Frau mit einem Surflehrer Trockenübungen macht. Ob das wohl schwer ist, dieses surfen? Es sieht so leicht aus, wie diese durchtrainierten, braungebrannten Typen auf den bunten Brettern stehen und wilde Drehungen auf der sich brechenden Welle vollführen.

Die junge Frau liegt nun mittlerweile auf dem Brett und paddelt gemeinsam mit dem Lehrer raus aufs Meer.

Okay, denke ich. Wenn die sich traut, traue ich mich auf. Ich nutze die Langsamkeit meines Gehirns am Morgen aus, und noch bevor es mit Haiwarnungen und amputierten Gliedmaßen durch Kiteseile protestieren kann, habe ich meine erste Surfstunde bezahlt und einen Neoprenanzug an.

 

Hibo, heißt mein kleiner, durchtrainierter, peruanischer Surflehrer. Er versichert mir, das es im Pazifik keine Haie gibt und schubst mich plötzlich. Ich stolpere und schau ihn böse an! Was soll das denn?

Dein linkes Bein, ist dein Standbein, sagt er grinsend. Ach so! 

Wir turnen ein bisschen am Strand rum, warm machen ist wichtig und dann weiht er mich in die Kunst des Wellenreitens ein: Wenn die Welle kommt, paddeln! Wenn du oben auf der Welle bist, stehst du mit dem linken Bein zuerst auf und dann fährst du Richtung Strand. Listo? Fertig?, frägt er. 

Ach so. Ist ja einfach. Ich lege mich aufs Brett, Hibo hilft von hinten mit und wir paddeln raus aufs Meer. Das Wasser ist herrlich warm, türkisfarben und es macht Spass über die kleinen Wellen hinwegzuschwimmen. Das Brett ist mit einem Seil an meinem Fuss befestigt, es fühlt sich schön an.

Als die erste hohe Welle kommt bäumt sich das Surfbrett mit mir senkrecht auf und wir klatschen auf der anderen Seite mit voller Wucht wieder auf die Wasseroberfläche. Yihaaa!, wie cool ist das denn! Te gustas, frägt mich mein Lehrer. Ob es mir gefällt? Und wie!!!

Okay, sagt er, und jetzt Nicole: surfen!!! Ich sehe die Welle in meinem Rücken anrollen. Die anderen Leute haben sich ebenfalls in Position gebracht. Als die Welle da ist wird das Surfbrett schlagartig schneller. Ich paddle mit der Welle und dann schreit Hibo: stand uuuuuppppp, Nicole! linkes Bein, dann das rechte, in die Knie gehen und: ich stehe!!!! Ich stehe auf dem Brett und die Welle treibt mich schnell nach vorne. Vor Glück schreie ich laut, dann verliere ich das Gleichgewicht und platsche in die sich brechende Welle. ich schlucke Wasser, viel Wasser, aber das Brett das an meinem Fuss befestigt ist zieht mich nach oben und  ich kann den Strand wieder sehen. Glück, Glück, Glück in meinem ganzen Körper. Wow! Was für ein rießiger Spass! Otra vez!, nochmal! strahle ich meinen Peruaner an. Und so sause ich Welle um Welle im Pazifik umher und kann es kaum fassen! Es ist gar nicht so schwer, schnell habe ich raus wie man ein bisschen lenkt und es macht einfach nur Spass. In den Pausen zwischen den Wellen beobachte ich wie die Pelikane neben mir pfeilschnell ins Wasser schießen und Fische fangen.

Nach eineinhalb Stunden bin ich völlig kaputt und wahnsinnig hunrig. Ich verabrede mich mit Hibo gleich für den nächsten Tag, dusche und kaufe mir am Strand einen rießigen Teller Reis mit Meeresfrüchten.

 

Völlig überdreht bummle ich strahlend durch Mancora. In einem kleinen abgelegenen Teil, vor einem etwas runtergekommenen Hostel, sitzen ein paar Leute mit Dreadlocks und trommeln. Ein Typ mit Baseballcap kommt auf mich zu! ¨Hey, me llamo Leon!¨, oh nein denke ich, wenn der mich jetzt auch küsst, beiße ich ihn in die Lippen, heute bin ich gerüstet!

Aber Leon ist nett, er lädt mich ein abends bei seinem Zirkus zu zuschauen. Ich soll um sechs wieder hier am Hostel sein. Sie seien Straßenkünstler aus Venezuela und heute Abend würden sie für ein paar Kinder am Strand Zirkus machen. Porque no, denke ich, warum nicht. Ich hab ja nichts anderes vor. Zum Abschied nimmt mich Leon in den Arm, beugt seinen Kopf vor und....ich warne Dich, mein Freund, denke ich....und küsst mich auf die Wange. ¨Nice to meet you Nicole, nos vemos!¨

 

Und weil er so anständig war, beschließe ich um sechs wieder dort zu sein.

Er winkt mir schon entgegen, als ich um die Ecke biege. Komm, sagt er...ich stelle mich meinen Freunden vor. Lange Dradlocks, Batikhosen, Bongotrommeln, Jonglierkeulen, lächelnde Frauen mit Blumentatoos und...viel viel Patchouli....Alle sind unglaublich lieb, ich werde in die Arme genommen, besos werden verteilt, Kaffee wird mir angeboten. Nach einer halben Stunde bekomme ich Metallreifen in die Handgedrückt und eine Trommel umgehängt. Zu fünft machen wir uns auf zum Strand, wo schon eine Gruppe von dreißig Kindern, Lehrern und ein paar Babys in kinderwägen auf die straßenkünstlergruppe und irgendwie auch mich warten. Die Sonne geht gerade unter, wir machen ein großen Lagerfeuer und Leon setzt mich zwischen die Kinder.

Dann jonglieren sie, machen Clownereien mit den Kindern, spucken Feuer und Leon singt Reaggaelieder zu einer Beatbox und die Kinder singen eifrig den Refrain mit. Es ist zauberhaft, irgendwie unwirklich und wunderschön. In einer Pause steht Leon plötzlich hinter mir mit seiner Clownnase, streicht mir zärtlich über die Haare: te gustas, mariposa? Ja, denke ich, und vermisse den Franzosen wie verrückt.

Der Hut geht um, wir löschen das Feuer und ich verabschiede mich von meinen venzuelanischen Artistas. Ich bring Dich noch zum Hostel, sagt Leon. Wir laufen den Strand entlang, hinter der Surfschule die Straße hoch zum Hostel, er lädt mich morgen Mittag zum kochen ein und dann küsst er mich doch noch. Ich hasse es! Warum küsst mich auf diesem Kontinent einfach jeder ungefragt auf den Mund!

Nos vemos, sage ich und gehe ¨nach Hause¨, ich hab keine Lust mehr auf gemeinsames kochen.

 

Ja und heute...heute war ich surfen mit Hibo, habe mein Hörbuch zu Ende gehört, einen Mittagschlaf gemacht und Euch das alles aufgeschrieben. Morgen nachmittag werde ich mich in einen konfortablen, sicheren Bus nach Lima setzen und meine 145Grad-Komfortliege für 18 Stunden und 1200km nicht mehr verlassen.

Auf zu neuen Abenteuern!   

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