16.11.14 - 23.11.14

 

Endorphin-Ueberdosis, das einsamste Tal der Welt und die Rache des Sauerbratens

 

Am naechsten morgen komme ich erstaunlich frisch und deutlich frueher als erwartet in La Paz an.

Das einzige was heute klatschnass ist, sind meine Haende - vor Aufregung.

In der Toilette vom Busbahnhof versuche ich mich ein bisschen zu restaurieren, ich habe keine Ahnung wann Phillipe im vereinbarten Hostel ankommt, aber ich will auf keinen Fall wie ein zotteliger Backpacker in diesem Moment aussieht.

Ich nehme mir ein Taxi, was mich wenige Minuten spaeter in einer kleiner, stillen Strassen in der Altstadt absetzt. Durch ein schmiedeeisernes Tor kann ich in einen Innenhof sehen, ein paar Sofas, die Waende mit Graffiti besprueht, ein Junge mit langen Dreadlocks uebt mit Keulen zu jonglieren. 

Ich klingle und eine alte Frau oeffnet: "Entschuldigung, ich bin hier mit einem muchacho frances verabredet...ist der schon da?".

"no, no senorita, no hay und Phillipe"....Nicht da.... was nun? Guten Mutes miete ich ein Doppelzimmer und in diesem Moment klingelt es wieder an der Tuer.

 

Mit feuchten Augen stehen wir uns gegenueber...halten uns fest in den Armen...jetzt ist der richtige Moment...ab nun zusammen...ab hier bis ans Ende der Welt.

 

Die naechsten 24Stunden gehoeren ganz uns alleine und in meinem Blut schwimmen soviele Endorphin-Bubbels, das ich nicht mehr mit laecheln aufhoeren kann.

Am spaeten Nachmittag des naechsten Tages sitzen wir dann aber doch in der Seilbahn, die uns hinauf nach El Alto faehrt.

La Paz liegt in einem steilen Talkessel; das moderne Bankenviertel im Zentrum und das bodenstaendige El Alto trennen 1000 Hoehenmeter und gefuehlte 3 Kontinente. Waehrend man downtown bei Subways seinen Teriyaki-Chicken mit einer Cola light ordert und nicht weiss ob man in Bangkok, Moskau oder Johannisburg ist, herrscht oben in El Alto erstens eine andere Temperatur - rund 6Grad kaelter- und zweitens merkt man hier, das man in Bolivien ist.

Als wir aus der Seilbahn steigen kommt uns eine Art Umzug entgegen, Maenner mit Rasseln und Frauen in glitzernden Kleidern drehen sich im Kreis und trommeln begleiten alles. Ohne Problleme koennte diese Truppe auch beim Basler Morgenstraich mitwirken.

Wir laufen weiter, Strassenhunde rennen in Gruppen kleinen Katzen hinterher, Frauen sitzen auf einem Klappstuhl vor einem kleinen Tisch und verkaufen eine Art Sirup mit eingelegtem Obst als kleinem Drink auf dem Weg....so suess, das einem die Zunge am Gaumen kleben bleibt.

Wasserlachen, Staub, von der Ferne die Trommeln des Umzugs. Wir sind wie im Rausch, Bolivien macht Spass, denn es ist so anders und die Bolivianer zelebrienren ihre Kultur mit so viel Stolz, das man sich nie laecherlich, nie beschaemt oder peinlich beruehrt fuehlt. Man ist hier Gast, man ist hier eingeladen an allem Teil zu haben, aber auch nicht mehr.

Auf dem Markt sitzen die Frauen in den weiten Roecken und verkaufen Coca-Blaetter, Quinoa-Asche, Mais in allen Farben und Formen, Chia-Samen, getrocknete und frische Alpakafoeten und Trockenblumen als Opfergaben fuer Pachamama, der Medizinmann hat seinen Stand neben der Wahrsagerin und zwischen den Staenden mit den Kartoffeln.... und was wir an Essbarem probieren koennen, probieren wir und wie immer wuerde ich gerne soviele Souveniers kaufen und verzichte dann aus Platzgruenden leidlich doch darauf.

 

Die Sonne scheint am naechsten Tag in La Paz. Auch hier gibt es keinen Supermarkt mal eben um die Ecke, sondern nur kleine Tante-Emma-Laeden und so etwas wie "Viertel-Markthallen", wo man alles Frische bekommt und fuer rund 1,50Euro ein Mega-Mittagessen. Ich bin auf der Suche nach einem guten Fruehstueck fuer uns Zwei und finde Dona Leonora.

Dona Leonora hat einen Obst-Saft-und Gesundheitsstand vor der kleinen Markthalle nahe vom Hostel. Sie verkauft Obstsalate und frisch gemixte Saefte ganz nach dem individuellen Geschmack.

Und waehrend ich auf den Erdbeer-Bananen-Mango-Milchshake mit wenig Zucker fuer Phillipe warte, kommt ein Mann an den Stand, der aussieht wie Morgan Freeman. "Buenos dias Leonora", gruesst er die Chefin. sie laechelt zueruck als haetten beide eine lange heimliche Liebesbeziehung. Aber letzter Eindruck kann auch meinem persoenlichen Befinden geschuldet sein. 

Auf jeden Fall spricht mich Morgan Freeman auf Deutsch an. Er hat lange als Hausmeister beim Goetheinstitut gearbeitet und erkennt Deutsche sofort, sagt er. Ausserdem hat er ein bisschen Deutsch gelernt. Ja, er mag die Deutsche sehr, ehrliche Menschen und immer lustig, sagt er, waehrend er ein gruenliches Gebraeu schluerft.

Ich frage, was er da trinkt und er erklaert mir, es handle sich um Alfalfa-Kraut mit Milch. Sein Arzt habe ihm das fuer jeden Morgen verordnet, weil er mal geraucht hat und Alfalfa vor Lungenkrebs schuetzt.

Aha, denke ich und habe schon ein kleines Glas zum probieren von Leonora in der Hand. Ich gebe zu, der erste Eindruck ist frisch gemaehtes Gras in ranziger Milch. Aber wenn man sich mal daran gewoehnt hat schmeckt es gar nicht so schlecht.

 

Einen Tag spaeter beginnt der Tag bereits um fuenf Uhr. Wir wollen ein paar Tage raus aus der Grossstadt und den Choro-Trek wandern.

Schlaftrunken steigen wir in ein Taxi, das uns zum Busbahnhof mit den Bussen zum Einstieg des Treks bringen soll. Wie immer vereinbaren wir vor dem Einsteigen den Preis, am Ende faellt dieser -zum aller ersten Mal- deutlich hoeher aus. Auf die Frage warum: "Tu novia esta una alemana, todos son Nazis", Deine Freundin ist eine Deutsche und die sind alle Nazis....und deswegen mussten wir einen Euro mehr bezahlen...spaete Reparationszahlung sozusagen...

 

Der kleine VW-Bus entlaesst uns eine Stunde spaeter mitten auf dem Weg in einer weiten Ebene an deren noerdlichem Ende hohe, schneebedeckte Berge thronen. Ein kleinens Haeuschen mit rotem Dach ist die Registrierungsstelle fuer Wanderer.

Als wir uns dort in die Liste eingetragen haben - wir sind die ersten Touris seit vier Tagen -  und aus dem Haus kommen, werden gerade zwei Pferde an die Anhaengerkupplung eines Mitsubishi-Buses gebunden.

Wir fragen, ob wir bis zum Gipfel mitfahren koennen und werden herzlich eingeladen. Eingepfercht zwischen eine Aymara-Familie fahren wir wenig spaeter die Serpentinen hinauf. Die Landschaft, die Menschen, die Sprache, die zwei Pferde, die hinter dem Bus hertrotten...wir koennten auch in der Mongolei sein!

Im Bus riecht es nach den Coca-Blaettern, die der Mann auf der Rueckbank in einem dicken Klumpen in seiner Backentasche kaut, die Sonne beleuchtet die Schneegipfeln in einem magischen Licht und Phillipe sagt: "Mit Dir ist einfach immer alles perfekt".

Er sollte sich noch ordentlich taeuschen, aber in diesem Moment war wirklich alles perfekt. Reisen als waere man ein Teil einer GEO-Reisereportage.

Nach 30 Minuten erreichen wir den Gipfel, hier ist auch das Ende der Strasse und wir stehen ganz oben auf dem Berg, knappe 5000m hoch, kalter Wind saust uns um die Ohren und Eisblumen formieren sich zwischen den Felsen. 

 

Die Ausicht in ein weites gruenes Tal ist atemberaubend, der Geschmack der Luft unbeschreiblich und mein Glueck so gross.

Auf dem alten Inkapfad machen wir uns auf den Weg, 7Stunden liegen vor uns. Und so laufen wir, still schweigend und geniessend, machen Rast an alten Ruinen, nehmen uns unglaublich viel Zeit eine Lamaherde beim Schlamm-waelzen zu beobachten, liegen im saftigen Gras und schaunen den Wolken hinterher, trinken bei einer alten Frau einen Coca-Tee, die weder richtig spanisch sprechen, noch schreiben kann, halten Haendchen und sind die zwei gluecklichsten Lebewesen auf dieser Erde.

 

Gegen Nachmittag kommen wir an zwei, drei kleinen, winzigen Holzhaeusern vorbei, Fingerhut und Hortensien bluehen in allen Farben und eine kleine Haengebruecke fuehrt ueber das Wildwasser, dem wir schon seit Stunden folgen. Mein erster Gedanke ist: Willkommen in Schlumpfhausen! Echt jetzt! Das sah aus, als wuerden gleich die Schluempfe um die Ecke kommen.

Aber es war unser erster Zeltplatz fuer die Nacht.

Wir schlagen unser kleines Zelt am Flussufer auf, kaufen bei Maria ein kaltes Bier und versuchen uns die Muehen und den Gestank des ersten Tages im Fluss abzuwaschen. Wir koennen nackt im Bach umher springen, denn ausser Maria, einem Hahn mit zwei Hennen und einem Hund wohnt niemand mehr hier. 

Und als wir uns am Lagerfeuer waermen und Quinoa mit Nichts verspeisen denke ich nur: Freiheit!

So leicht habe ich mich selten gefuehlt!

 

Waehrend der erste Tag uns durch hochalpine Landschaft stetig auf dem alten Inkaweg bergab gefuehrt hat, aendert sich die Landschaft dramatisch am zweiten Tag.

Die krage Steppenlandschaft des Altiplano geht ueber in subtropischen Nebelwald, Farne und Schleimpflanzen saeumen unseren Weg, es ist deutlich waermer und sobald der Weg morastig wird, begleiten uns Heerscharen bunter Schmetterlinge ueber weite Strecken.  Auch wird der Pfad schmaler, es geht hoch und runter und in der Ferne Donnergrollen und Wetterleuchten.

Es ist anstrengend. Unglaublich. Und ich bin so froh als wir ein kleines Haus erreichen, in dem eine Frau mit ihrem Kind zwischen Huehnern sitzt und Erbsen puhlt. Mittagspause, endlich! Und waehrend wir Brot und Honig auspacken und die letzten zwei Eier aus der Schale klauben beginnt es heftig zu regnen.

Wir kuscheln uns im Unterstand aneinander, auf dem Schoss zwei verlauste Katzen, denen es ebenfalls zu kalt ist und die "Huettenwirtin" bringt uns zwei Cocatee. Nach einer Stunde ist das Unwetter vorbei und weiter geht es.

Ueber marode Haengebruecken, weiter durch den dampfigen Nebelwald, 300Hoehenmeter runter, 300 Hoehenmeter hoch, der Rucksack scheuert an den Schultern und ich habe eigentlich durchweg Hunger.


Wir wandern entlang eines tiefen Tales, das nach drei Tagen in Choroico enden soll. Ganz unten schlaengelt sich ein wilder Bach, der nach und nach zu einem Fluss wird, Zulaeufe muessen wir immer wieder ueberqueren, Orchideen, Farne und unzaehlige Schmetterlinge begleiten uns entlang dem Weg.... und weit und breit kein Tourist...kein anderer Mensch... keine Elektrizitaet und auch kein Handy-Mast. 

Ich ueberlege ums erneute Mal was passiert, wenn man sich hier das Bein bricht, und gehe mit noch groesserer Vorsicht einen Schritt nach dem anderen.

Am Nachmittag errreichen wir unser Tagesziel. Ein Haus, weit ueber dem Fluss, gute 1000 Hoehenmeter, Perlhuenhner springen in die Luft um Fliegen zu fangen und eine junge Frau mit kleinem Kind, deren kompletten Vorderzaehne verfault sind, begruesst uns. 

Fuer 2 Euro duerfen wir unser Zelt in Ihrem "Garten" aufschlagen. Garten ist merkwuerdig, denn die naechsten "Nachbarn" befinden sich 4 Stunden zu Fuss weiter unten im Tal. Eine Strasse, oder die Moeglichkeit mit einem Motorrad wohin zu fahren gibt es hier nicht.

Die junge Frau lebt hier alleine mit ihrem Sohn. Ihr Mann arbeitet in der Stadt und kommt nur einmal im Monat vorbei. Es gibt keinen Strom und kein fliessend Wasser, nur ein kanalisiertes Rinnssal. Tagsueber kuemmert sie sich um ein paar Bananenstauden, sucht Holz und hofft auf vorbeikommende Touristen. Keine Nachbarn, keinen Kaffeeplausch mit Freundinnen, keine Serien im Fernsehen, kein Internet.... nichts....nada... nur einen eine Million-Dollar-Blick in ein tiefes Tal!

Auch wir haben nichts ausser uns und der Natur und so schauen wir minutenlang einer Raupe beim abseilen zu, beobachten die Huenhner und eine Termitenkolonie, machen ein Lagerfeuer, kochen ein paar Nudeln und kuscheln uns im Zelt ein als die Sonne untergeht.

Nachts muss ich nochmal raus auf die "Toilette" und da sehe ich es zum ersten Mal: das Kreuz des Suedens am Himmel und Millionen von Gluehwuermchen am Boden. Manchmal ueberhaeuft das Leben einem mit soviel Glueck, das man gar nicht hin weiss, wohin damit.

 

Mit den Huehnern ins Bett und mit den Huehnern aufstehen. Als der Hahn um halb fuenf zum erstenmal kraeht sind wir wach, fit und ausgeschlafen. Aber jeder Knochen schmerzt.

Nach einem Fruehstueck aus warmem Bananenmus mit Honig und Coca-Tee geht es weiter. Hoch und runter, heute bruzelt uns die Sonne, meine Oberschenkel brennen und ich merke wie ich an den Rand meiner Belastbarkeit gelange.

Gegen Mittag erreichen wir das japanische Dorf. Hier wurden vor vielen Jahren ein paar Japaner bei irgendeiner Unternehmung vergessen und weil sie nicht wussten wohin, haben sie ein Dorf gegruendet und leben nun noch immer dort. Und tatsaechlich sieht es hier ein bisschen anders aus: symetrische Gaerten, ordentlich gestutzte Rosenstauden und penibel angelegte Gemuesefelder. Ein alter, runzliger Mann braet uns ein paar Spiegeleier und findet sogar noch etwas Mayo, die seit zwei Jahren abgelaufen ist.

Weitere drei Stunden spaeter erreichen wir unser Ziel: ein kleines Dorf und der Beginn einer autobefahrbaren Strasse.

Uebergluecklich fallen wir uns in die Arme, trinken ein kaltes Bier und freuen uns, das wir drei Tage wandern konnten ohne uns auf die Nerven zu gehen. Es war die Probe fuer Patagonien...jetzt steht der weiten Welt nichts mehr im Weg.

Bis unser Sammeltaxi nach Choroico startet unterhalten wir uns mit einem Biologen, der sich von hier aus in ein Seitental aufmachen wird, um seltenene Bambusarten zu erforschen.

 

Einige Stunden spaeter mieten wir uns in einem Hostel in Choroico ein. Dreckig und speckig wie wir sind schluepfen wir in unsere Badesache und huepfen in den kuehlen Pool! Sich waschen ist mittlerweile zu einem meiner meistgeschaetzten Hochgenuesse geworden. Ich glaube ich war niemals so schmutzig in meinem Leben wie auf diesem Trip.

Und nachdem drei Tage wandern weggewaschen sind machen wir uns auf zur "Backstube", einem deutschen Restaurant, wo es Sauerbraten geben soll. 

Ich weiss, was ihr jetzt denkt, aber mir fehlt mein zu Hause und der Gedanke an Spaetzle mit Sosse war so unwiderstehlich!

Die Backstube hat eine schoene Terasse mit guter Musik und Haengematten.

Heute wollen wir uns es gut gehen lassen, und bestellen alles was uns anlacht. Der Sauerbraten ist nur mittelmäßig, aber die Drinks dafür großartig. Die Terrasse füllt sich schnell, aber an diesem wunderschönen, lauen Sommerabend scheint es nur uns zwei zu geben.

Nach dem Essen setzten wir uns zu zweit in die Hängematte, bestellen eine zweite Flasche Wein, entspannte Jazzmusik plätaschert dahin, die Luft ist warm und klar, wir reden über die Zukunft, über Unmögliches und Verrücktes, wir reden über uns und das große Glück uns gefunden zu haben. Es ist der perfekte Abend, an einem perfekten Ort und wenn es nach mir ginge dürfte er niemals enden.....

 

Aber endet, ziemlich genau um zwei Uhr nachts, mit einem heftigen Donnerschlag...in meinem Bauch. ich schaffe es gerade noch über den Flur zur Toilette als Sauerbraten und Spätzle sich jede Körperöffnung suchen um wieder in die Freiheit zu gelangen.

nie wieder, schwöre ich mir. Nie wieder esse ich in einem "Gringo-Restaurant"!. Jedesmal geht's mir schlecht dabei.

Die Nacht bleibt unruhig, am nächsten morgen will ich einfach nur Sterben und wir beschließen einen Tag in Choroica dranzu hängen und einfach im Bett zu bleiben.

 

Die Durchfälle werden geschlagene drei Wochen anhalten und mich 5Kilo Gewicht kosten um dann von heute auf morgen aufzuhören.

 

Von Choroico geht es am übernächsten Tag zurück nach La Paz. Von dort planen wir unsere Weiterreise in die Salar de Uyuni, wo wir auch Jean wieder treffen wollen. Ich werde noch berichten.

 

 

 

 

10.11.14 -16.11.14

 

Zauberhafter Titicacasee, stolze Kultur und 2000km Sehnsucht

 

Die kleine Kapelle am peruanisch-bolivianischen Grenzübergang scheint vereinsamt. Zwei verlauste Hunde dösen vor der Eingangstür. Eine Bolivianerin in typischer Cholita-Kleidung und Melone sitzt auf einem Hocker, in der Hand ein Bündel Geldscheine, auf dem Rücken ein Kind und im Mund eine Reihe schöner Goldzähne: ¨ Amiga, cambiar dinero? Geld wechseln¨. 

Ein alter Mann mit einer Rute in der Hand treibt eine Herde Esel an mir vorbei und ich fühle mich als hätte ich eine Zeitreise unternommen: 50 Jahre in die Vergangenheit.

Ohne Probleme erhalte ich meinen Einreisestempel und schleppe meinen Rucksack zu dem kleinen VW-Bus, der an der Strasse wartet. ¨ A Copacabana?¨, frage ich. Ein Lächeln: ¨ Si Amiga!¨, mein Rucksack wird auf dem Dach festgezurrt, ich zahle 20 Cent und als der Bus voll ist und alle Kisten, Taschen, Kinder und die Schachtel mit den Küken verstaut sind, ruckeln wir los.

Auf den Waenden der Hauser steht gesprueht: "Con Emo vamos bien", mit Evo gehts uns gut... ich bin gespannt! 

 

Copacabana ist ein Sehnsuchtsort, für die Aymara ist er heilig, und als ich meine Füße auf den Platz vor der wunderschönen Kathedrale stelle, wird mir ganz warm und wohlig. Hier will ich jetzt mal ein paar Tage bleiben, hier ist ein guter Ort!

Hinter der Kathedrale finde ich das Hostal Sonia, eine kleine Pension, im Eingangsbereich sitzt die Chefin und stillt ihr Kind und sie stillt fleissig weiter, als sie mir den Schlüssel zu meinem eigenen! Zimmer gibt.

5 Euro kostet hier die Nacht. Ich bin im Paradies.

Ich lasse mich auf das weiche Bett fallen,  strecke Arme und Beine von mir und weiß, das alles gut werden wird.

Als der Hunger zu groß wird, mache ich mich auf ins Dorf. Es ist eisig kalt, aber die Straßen sind voller Leben. Hunde, Leute in traditineller Kleidung, Musik, vor den Restaurants stehen dicke Frauen und warten darauf die Berge ungekühlten Fleisches neben ihnen in eine Blechwanne siedenen Fetts zu werfen und mir mit einer Portion Reis zu servieren.

Die Restaurants hier sind kleine Läden, meist stehen nur zwei, drei Tische darin, Plastikstühle, in der Ecke läuft im Fernseher die aktuellste Telenovela, Poster vom See sind mit Tesa an die nackte Betonwand geklebt, an den Tischen sitzen Männer und Frauen dicht gedrängt und löffeln ihre Suppe. Es ist heimelig, es ist herzlich und ich fühle mich sehr wohl in diesem entspannten Gewusel.

Die Suppe, die mir augenblicklich nach dem Setzten serviert wird - es gibt immer nur ein Gericht, deswegen muss man nie bestellen-, ist eine kräftige Hühnerbrühe, in der noch ein paar Knochen schwimmen. Ausserdem findet sich darin ein bisschen Reis, ein paar dicke Scheiben Kartoffeln, Karotten und viel Koriander...diese Suppen können Leben retten, ich bin mir sicher.

 

Eine Frau setzt sich neben mich und lächelt mich an, ihre vielen Röcke rascheln und finden kaum Platz auf dem kleinen Stuhl, die Melone bleibt auf ihrem glänzenden Haar und zusammen bekommen wir den zweiten Gang: ein Berg Reis und Yucca und darauf ein überdimensionales Stück gegrilltes Rindfleisch, dazu ein Glas pappsüßes Chicha-Bier. Und während wir alles razteputze aufessen, wird die arme Marieflor von ihrem untreuen Ehemann Eduardo aus Versehen bei einem Reitausflug erschossen, was großes Entsetzen in dem kleinen Lokal auslöst! Meiner Tischnachbarin faellt fast der Loeffel aus der Hand!

Ich bezahle am Ende meine 1,50Euro und hatte einen super Abend, glücklich, sehr satt und mit einem Lächeln im Gesicht schlafe ich ein....in meinem eigenen Zimmer!

 

Ich schlafe mich richtig aius und werde von gleisendem Sonnenschein in meinem Gesicht geweckt. Heute will ich wandern, von Copacabana ans Ende der Halbinsel, in das 17km entfernte Yunguy.

Mein Weg führt ein bisschen durchs Dorf, Schumacher sitzen auf der Straße und flicken Schuhe, kleine Tante Emma-Läden verkaufen die wichtigsten Grundnahrungsmittel wie Mais und Reis aus dicken Säcken, Supermärkte gibt es hier keine.

Über einen Feldweg geht es am Ufer entlang, ein Mann treibt zwei Pferde mit einem Pflug übers Feld, der See glitztert in einem ganz eigenen dunklem Blau in der Sonne und am Horizont kann ich die schneebedeckten 6000er Gipfel der Cordillera sehen.

Mein Feldweg schlängelt sich einen kleinen Anstieg hoch und führt mich oberhalb des Ufers in das nächste Dorf: 10 Lehmhäuschen, drumherum liebevolle wilde Gärten, in denen Rosenbüsche wachsen, die Menschen hier arbeiten auf dem Feld, kommen mir mit Spitzhacke und Tragetüchern voll Saatgut entgegen...

Weiter, weiter, durch einen kleinen Eukalyptuswald. Hier entdecke ich eine Grotte mit einer Statue der Heiligen Jungfrau, drumherum vertrocknete Blumenkränze, Kerzenreste, daneben ein Hügel mit kleinen verbrannten Opferschalen und leeren Bierflaschen, ein Opferplatz für Pachamama. 

Ich setzte mich auf die Treppenstufen und höre die Musik von Atahualpa, leise Gitarrenmusik, wie gemacht für diesen sehr besonderen Ort. So sitze ich eine Weile in der Sonne, es riecht nach Eukayptus und Harz, um mich herum kegelförmige Hügel und neben mir eine heilige Jungfrau und Pachamama ganz nah. Ich beschließe beiden ein kleines Gastgeschenk dazulassen, eine Handvoll Kokablätter und bitte um ein bisschen weiblichen Beistand in Sachen Liebe und Franzosen. 

 

Nach guten 5 Stunden erreiche ich den aeussertsten Zipfel der Halbinsel und suche ein Restaurant, ich habe riessigen Hunger und freue mich schon jetzt auf ein ueppiges Almuerzo (Mittagessen). Eine uralte Frau, mindestens 120Jahre alt, und um ehrlich zu sein schon halb mumifiziert, sitzt am Strassenrand, in der Hand eine Hanfleine an der ein mickriges Schaefchen festgebunden ist und in aller Ruhe grasst. Die Alte scheint nicht zu hoeren, oder aber sie versteht kein Spanisch, den  auf meine Frage nach einem Restaurant bekomme ich keine Antwort. Unten am See steht ein aehnlich alter Mann, er hat eine schwarz-weiss-gefleckte Kuh an der Leine und fuehrt sie gerade zum See. "Hay un restaurant aqui?", frage ich ihn nach dem Restaurant. "No, no", laechelt er mich an, da muesste ich schon nach Copacabana zurueck.

Und wie immer auf diesem Kontinent biegt just in diesem Moment auch schon der kleine VW-Bus um die Ecke, der mich die knapp 20km zurueck faehrt. Ich steige ein, mit mir vier Frauen und 7! Eimer kleiner Fische, die obersten zappeln noch ein bisschen.

Bald schon riecht es herrlich nach Fisch und als sich noch so fuenf  weitere Menschen in den Bus zwaengen, inclusive drei Saecken Zwiebeln und zwei Kanister Kerosin, wird es mir ein bisschen mulmig. Aber diese kleinen Momente machen diese Reise so besonders! Ich bin so dicht an den Menschen dran, das ich ihre rheumatischen Finger betrachten kann, den abgewetzten duennen Goldring an einer alten Hand, die kunstvolle Samtborte an der Melone, die in die Zoepfe eingeflochtenen Baender mit ihren buschigen Zotteln am Ende...so koennte ich noch jahrelang weiter reisen.

 

Am naechsten Tag, frueh um acht gehts Richtung Hafen. Hier trainiert die bolivianische Marine fuer die Zeit, in der sie vielleicht irgendwann mal wieder Zugang zum Meer haben. Diesen haben sie Ende des 19.Jahrhunderts an Chile verloren und es vergeht kein Tag, in dem die Bolivianer nicht darunter leiden, es einen Zeitungsbericht gibt oder eine neue Klage in Den Haag eingeht. Bolivien hat mit das groesste Wirtschaftswachstum des Kontinents und sie brauchen einen Zugang zum Meer um guenstig exportieren zu koennen. Naja...und so kann man hier eben bolivianische Matrosen bei Manoeveruebungen beobachten.

 

Fuer mich gehts auf die Isla del Sol mit einem kleinen Ausflugsboot. Beim warten schliesst sich mir Werner, ein Mittfuenfziger aus der Steiermark und Steven, ein ca. vierzigjaehriger Hollaender, der von Mexiko nach Buenos Aires mit dem Rad faehrt, an.

Zu dritt wandern wir auf einem Grat vom Norden der Insel in den Sueden, insgesamt 5Stunden und die Maenner schuetten mir ihr Herz aus und erzaehlen ihre Lebensgeschichten. Ich bekomme Stories von Anapurna-Wanderungen, dem Boersencrash und unerfuelltem Kinderwunsch erzaehlt, von Schicksalsschlaegen, vom Wunsch nochmal von vorne anzufangen und der Sehnsucht nach mehr Leben und weniger Arbeit, dem Leben in Amsterdam und die besten Erlebnisse waehrend der Fussball-WM. 

Ich hab mir das mal ausgerechnet, bei einem Stundenlohn eines Psychologen von vielleicht 50€/Stunde, haette ich bei zwei Maennern locker 500Euro verdienen koennen. Naja... aber so hatte ich immerhin gute Unterhaltung und abends beim Essen Gesellschaft.  

 

Am naechsten morgen um 12 Uhr mittags sitze ich mal wieder im Bus. Ich will nach Santa Cruz, Boliviens groesster Stadt im Osten des Landes und von dort weiter in die Jesuitenmissionen.

Bereits 5km hinter Copacabana ereilt mein Bus dann das Schicksal vieler bolivianischer Busse (wird zumindest erzaehlt):

Ein Dutzend wuetender Frauen, gekleidet in die traditionelle Kleidung, stehen mitten auf der Strase nach La Paz und fordern etwas, das ich nicht verstehe. Auf die Strasse haben sie unzaehlige, grosse Steine gerollt, davor und dahinter Busse voller Touristen. Zwischen den Busfahrern und den zornigen Frauen entsteht ein lautes Wortgefecht und als ein paar der Fahrer versuchen die Steine wegzurollen beziehen sie ordentlich Pruegel. Nein, hier ist definitiv kein Weiterkommen und in mir kommt leicht Panik auf, muss ich doch in La Paz meinen Anschlussbus bekommen.

Aber wie schon dutzende Mal zuvor: Suedamerika waere nicht Suedamerika, wenn ich nicht puenktlich in La Paz angekommen waere. Hier handelt man noch eigenverantwortlich, keiner wuerde auf die Idee kommen wertvolle Zeit damit zu verschwenden die Polizei oder das Ordnungsamt anzurufen. Ganz pragmatisch setzen wir etwas zurueck und biegen auf einen Feldweg ab, der schon bald nicht mehr als solcher zu erkennen ist, es ist mehr so ein Feld....ohne Weg.

Ein paar mal wankt der Bus gefaehrlich nach links nd rechts, zweimal muessen alle 50 Touristen aus dem Bus, weil die Bruecke, ueber die wir muessen uns nicht tragen wuerde. Ein letztes Mal steigen wir aus um Holz zu suchen, um es unter die Reifen stecken zu koennen, denn der Bus sitzt im Schlamm fest. Unter uns Reisenden kommt langsam Stimmung auf, Gespraeche werden begonnen, Zigaretten geteilt, am Ende laesst der Fahrer den Hut rumgehen und alle geben ein grosszuegiges Trinkgeld.

Beim naechsten Stau auf der A8 werde ich dem Busfahrer von "mein Fernbus" diese Variante vorschlagen!

 

Am naechsten Nachmittag, nach 30 Stunden Busfahrt (wir haben dann doch was laenger gebraucht), komme ich voellig durchschwitzt und mit dick geschwollenen Beinen in Santa Cruz an. Wieso?

Anders als in Kolumbien werden hier die Busse geheizt, dabei versucht der Fahrer rauszufinden ab welchem Hitzezustand sich die Frauen die Kleider vom Leib reissen. Ehrlich, ich war kurz davor mich bis auf die Unterwaesche auszuziehen und mir meinen letzten Tropfen Wasser ueberzugiessen.  Und weil ich vergessen habe mir Sandwiches zu schmieren, musste ich meine Verpflegung  am Busbahnhof in La Paz kaufen und leider gab es da keinen Dave&Dean-Salat ohne Zusatzstoffe. Also gabs halt 24Stunden Chips, Papas fritas und Oreo cookies....

 

Aufgedunsen und abgewrakt wie ein Michelin-Maenchen nach dem Solarium erreiche ich mit letzter Kraft mein suesses kleines Hostel. Ich goenne mir die laegnste Dusche der ganzen Reise, kuschle mich in die saubersten Klamotten, die sich in meinem Rucksack finden lassen und lege mich in die Haengematte am Pool zum mails lesen.

 

Und da ist sie.

 

Die mail auf die ich solange gewartet hatte. Die mail, die nicht eher kommen konnte, weil es auf einer Fuenf-Tage-Wanderung in den Anden nunmal kein WiFi gibt. Die mail, die nicht eher geschrieben werden konnte, weil manche Dinge ihre eigene Zeit haben.

Die mail, in der steht: ich vermisse Dich und ich will mit Dir nach Patagonien, und weiter... nach Feuerland, und die Eisberge der Antarktis sehen und weiter....

Die mail, in der steht: ich bin auf dem Weg zu Dir. Ich kann uebermorgen in La Paz sein. Wo finde ich Dich?

 

Ich renne kreischend durchs Haus, huepfe auf meinem Bett herum und springe in den Pool.

Jesuiten hin oder her -

2000km nur um mails zu lesen: egal -

wieder 30 Stunden im Bus: na wenn schon -

manch einer von euch in meinem Kopf: lass ihn doch mal erst Dir hinterherreisen, wirf doch nicht Deine Plaene ueber Bord: piep-wurst-egal! 

Das ist meine Reise und ich will sie mit Phillipe weiter reisen.

 

Am naechsten Abend auf dem Weg zum Bus zurueck nach La Paz ueberlege ich kurz, ob ich mir bei dem Mann an der Strassenecke ein Coca-Blaetter-Orakel werfen lassen soll. Aber ich bleibe lieber beim Beistand von Pachamama und der dieser Jungfrau in der Grotte!

 

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